Dem Weltenbrand entgegen

Als wären in der Welt nicht schon genug Krisen. Krieg in der Ukraine, Energieknappheit, eine drohende Rezession und über all dem die globale der Klimakrise. Wie gut, dass all das wenigstens im Fernsehen und den einschlägigen Streamingportalen Pause hat und die heile Welt auf Sendung gehen kann – wenigstens für ein paar Minuten. 

Bayreuther Sommer   

Bei all den Unsicherheiten, die das eben angefangene Jahr noch vor sich hat, kann man ein Ereignis voraussagen, das mit Sicherheit am 25 Juli dieses Jahres eingetreten sein wird: die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele.  

Warum aber immer wieder Wagner? Der Komponist, geboren 1813, hat Musikgeschichte geschrieben. Er will das alte Musiktheater hinter sich lassen, weg von der reinen Bespaßung der Massen hin zu einer Kunst, die den Anspruch hat, die Probleme der Welt zu verhandeln und die den Zuschauer herausfordert.  

Spätestens mit seinem Ring, an dem er mehrere Jahrzehnte schrieb, hinterlässt er ein Grundsatzwerk. Eines, das bewusst die Ansprüche des damals üblichen Hoftheaters überschreitet: technisch, sängerisch, politisch. Um dies aufzuführen, will er sein eigenes Festspielhaus bauen, weil im Repertoirebetrieb die Aufführung einer solchen Produktion nicht möglich war. Weder akustisch noch technisch. An vier Tagen hintereinander soll der Opernzyklus, bestehend aus vier Opern mit in Summe rund 16 Stunden reiner Spielzeit aufgeführt werden. In Bayreuth wird der Traum von der eigenen Spielstätte dann Wirklichkeit. Die „Scheune“, wie das Festspielhaus wegen seiner für damalige Verhältnisse schlichten und unpompösen Art genannt wird, ist einem griechischen Amphitheater nachempfunden. Das Publikum soll sich wie in der Antike als politische Gemeinde verstehen, die sich über die Kunst Klärung erhofft. Der Promi-Trubel, von dem die Presse berichten wird, steht dem eigentlich entgegen.  

Netflix im Festspielhaus  

Im letzten Jahr stand die, zurecht, viel und häufig kritisierte Neuinszenierung des wagner’schen Rings auf dem Programm. Die Vorlage liefert der germanische Mythos, den Wagner ganz eigenmächtig erweitert, verändert und verdreht. Der Erzählzyklus, den er daraus bastelt, würde jeder Netflix-Serie Ehre machen. Die vier „Ring“-Teile sind eine weitverzweigte Familiensage mit Liebesintrigen und Ehebruch, Inzest und Ehrenmord. Die Personen-Psychologie ist höchst ausdifferenziert, Rache und Gier als Leitmotive der Handelnden sind nicht weit weg von vielem, was auch heute den gesellschaftlichen Diskurs bestimmt. Wagner fächert die Generationenfrage sowohl im Privaten als auch auf gesellschaftlicher Ebene aus. Immer geht es um Macht und Moral, um Liebe, Lust und Politik.  

 Wagners Hauptwerk, der Ring, erzählt die Geschichte einer Welt, von ihrer Schöpfung bis zum Weltenbrand und ihrem Untergang. Bezeichnend: Rund zwei Drittel der Charaktere überleben die 16 Stunden nicht, unter den Überlebenden sind die Naturgewalten. So verhandelt Wagner den Urkonflikt von Natur und Zivilisation, Macht und Liebe. Genauer gesagt wird die Frage verhandelt, ob sich die Menschheit durch ihre Gier nach Macht und Besitz nicht selbst zerstört. Angesichts der sinnlosen Kriege, totalitärer Regime, Gewalt und Unterdrückung auf der Welt eine Frage, die nicht unberechtigt scheint.  

Der ganze Ringzyklus dreht sich um den Zentralkonflikt: Macht oder Liebe. Alberich stiehlt zu Beginn der Tetralogie das Rheingold, in dem er „der Liebe Lust entsagt“ und bringt so die Welt aus ihrem Gleichgewicht. Man kann von der Ursünde reden. Als Herr des Rings, den er sich aus jenem Rheingold schmieden lässt, herrscht und unterdrückt er seine Mit-Nibelungen im Bergbau. Er wird zum skrupellosen, der Gier verfallenen Machthaber. Es würden jetzt noch viele Beispiele folgen können, die die grundsätzlichen Konflikte charakterisieren, die der Ring adressiert. Doch schon hier wird klar, dass unter dem Gewand einer Sagenwelt, ja eines Märchens mit Göttern und Riesen, Zwergen und Drachen, eine ganz andere und sehr politische Geschichte erzählt wird. An Aktualität hat sie aber nichts verloren.  

Als erster hat George Shaw diese Parabel geknackt, indem er die Sagenwelt des Rings konsequent auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in seiner Entstehungszeit zurückführt. Industrielle Revolution und die erste demokratische Revolution in Deutschland, 1849, an der sich Richard Wagner selbst beteiligte.  

So ist es kaum verwunderlich, in welchem Spannungsfeld die Charaktere im Ring agieren. Da gibt es Gesetze und ökonomische Interessen, Kapitalisten und Proletarier, Wirtschaft und Volk, Anspruch und Macht. Damit die Herrscher herrschen können, muss das eigene Volk zufrieden gestellt werden. Die Umwelt und der Weltfrieden mögen auch Beachtung finden. Es ist das Ringen zwischen Liebe und Macht. Personifiziert wird das alles durch Wotan, dem allmählich verfallenden Göttervater, dem mit jeder Minute, in der sich der Ring seinem Finale nähert, die Dinge aus der Hand gleiten. Er beginnt als Gott, in der Götterdämmerung verkommt er zum stummen Statisten und muss mit ansehen, wie seine Welt untergeht. Götterdämmerung.  

Der „Ring“ ist also keine Geschichte zum Abschalten und Runterkommen, sondern stellt die existenziellen Fragen der Menschheit neu. Er zeigt, wie Gier und blindes Machtstreben gesellschaftliches Zusammenleben scheitern lassen. Wie aus Brüdern Erzfeinde werden, die sich erschlagen. Wie das Erhalten von Macht um der Macht willen Herrscher zu von blinder Gier Beherrschten werden lässt, die wiederum scheitern. Und das alles ist dann eben doch keine Phantasie im Theater, sondern beschreibt aktuelle Geschehnisse ziemlich genau. Wenn blindes Streben nach Profit Kinderarbeit in Kauf nimmt, wenn sich Diktatoren zu Präsidenten krönen und wenn sinnloser Krieg geführt wird. 

Wagner komponiert den Finalakkord des Rings in Dur. Obwohl die Herrscher gefallen sind und mit ihnen die Helden der vorangegangenen 16 Stunden. Alles auf Anfang, neue Chance! 

Von Robin Sing

Gastbeitrag
Letzte Artikel von Gastbeitrag (Alle anzeigen)