Ein Foto für die Ewigkeit

Foto: Unsplash Sebastian Pichler Foto: Unsplash Sebastian Pichler

Warum machen wir Fotos? Für uns? Für die anderen? Was erhoffen wir uns davon? Und was verlieren wir durch den ständigen Versuch, den Moment festzuhalten?

von Lena Fiala

“Too much joy, I swear, is lost in our desperation to keep it.” – Ocean Vuong, On earth we are breathly gorgeous

Ein Klick – und schon ist es da. Das perfekte Foto von ihr am perfekten Strand, mit der perfekten Belichtung und dank der Live-Funktion in der bestmöglichen Position aufgenommen, fehlt noch der Filter und in der Bearbeitungsleiste den farblichen Kontrast ein wenig höherzuschrauben, und die Aufnahme ist bereit für den nächsten Instagram-Post auf ihrem Profil. Es war zwar ein bisschen umständlich, sich auf dem Campingplatz vor der mehrstündigen Wanderung in der Hitze noch Make-up aufzutragen, aber was tut man nicht alles, um den Follower:innen zu zeigen, dass man endlich an DEM Strand angekommen ist, der in jedem Reiseblog angepriesen wird? Einen WLAN-Zugang mitten im Nationalpark kaufen zum Beispiel, weil es nämlich – Überraschung – keinen Empfang gibt.

Diese Beobachtung, die ich von einer meiner Mitreisenden gemacht habe, hat mich vor einigen Wochen ins Nachdenken gebracht. Darüber, warum wir Fotos machen. Was wir uns davon erhoffen, mit wem wir sie teilen und ob wir durch das ständige Handyzücken vielleicht auch etwas von dem verlieren, was wir so unbedingt in unserer Galerie festhalten wollen. Dieser Gedanke ist nicht neu, das ständige Online-Sein und Hochladen von Stories ist vielen schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass selbst der Gegentrend von Detox-Challenges und Dokus über die Suchtgefahr von sozialen Medien mittlerweile ein alter Hut ist.

Machen wir Fotos primär für die anderen? Wollen wir ihnen beweisen, wie weit wir schon gereist sind, wie viele ach so gute Freunde wir doch haben, wie lecker wir in dem fancy Restaurant mit den veganen Bowls gegessen haben? Geht es uns nur darum, uns darzustellen?

Auch wenn das für so manche:n eifrige:n Möchtgern-Influencer:in auf jeden Fall eine Rolle spielen dürfte, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es mehr ist als das. Wir versuchen durch das Fotografieren der Landschaft, unseres Abendessens oder des Picknicks mit der Freund:innnengruppe das Jetzt ein klein wenig auszudehnen, es aufzuheben und zu speichern und diesen einen flüchtigen Augenblick die Zeit überdauern zu lassen, damit er nicht ganz so schnell vorübergeht.

Aber woher kommt eigentlich dieses Bedürfnis, den Moment festzuhalten, ihn in Pixel zu packen, um ihn anschließend jederzeit griffbereit zu haben; um zu sagen: „Schau, da war ich!“ oder an einem regnerischen Tag den Sonnenuntergang am Meer vom vergangenen August noch einmal sehen zu können?

Ich denke an „Haben oder Sein“ von Erich Fromm, der kritisiert, dass es in der westlichen Gesellschaft vor allem darum gehe, zu besitzen, anstatt etwas um des Erlebens Willen zu tun. Dabei sind doch gerade diese beiden Wochen an der Nordseeküste, die wir uns einmal im Jahr gönnen, ein Ausbruch aus dem ständigen Streben nach Produktivitätssteigerung und Selbstverbesserungswahn? Und eine mehrmonatige Reise auf einem anderen Kontinent passt schon gleich drei Mal nicht ins Bild der karriereorientierten Powerfrau, die nach dem Abi direkt das Bachelorstudium in Regelstudienzeit durchgezogen hat, um im Bewerbungsgespräch ja keine Lücke im Lebenslauf vorweisen zu müssen. Oder geht es selbst auf dem Wanderweg im Regenwald nur wieder darum, die Erfahrung verwertbar machen zu können?

Und geht dabei vielleicht auch die Qualität eben jenes Moments verloren, den wir so gerne für immer festhalten wollen? In der Konzentration auf den optimalen Winkel und die Sonneneinstrahlung über den Wellen entgeht dir der Vogel, der weit über dem Home-Button in der Ferne gleitet, der Geruch der Algen und das Kreischen der Möwen, das das Rauschen der Wellen durchkreuzt. Du nimmst das Gefühl des Windes auf deiner Haut gar nicht erst wahr, weil du nach dem Abdrücken des Auslösers sofort weiter zum nächsten Highlight-Spot hastest und vor allem nimmst du nicht wahr, dass nur wenige Meter neben dem von dir eben noch perfekt eingefangenen Traumstrand Berge von Müsliriegelverpackungen, Plastiktüten und Einweggabeln die Felsen einrahmen.

Hat der Moment nur stattgefunden, wenn er sich in meiner Handygalerie finden lässt? Oder sind die Fotos, die ich nach zweiminütigem Scrollen endlich aufgespürt habe, vielleicht nur ein kleiner Ausschnitt aus der flüchtigen Realität; noch dazu keiner, der der Realität wirklich gerecht wird?

Ich spreche mit einem Freund über meine Überlegungen. Ein Foto beinhalte immer etwas von der Person, die es macht, sagt er. Der Ausschnitt, den sie gewählt hat, drückt auch das aus, was in diesem Moment in ihr vorgegangen ist, es sei keine Abbildung der Realität, sondern von Anfang an untrennbar mit der:dem Fotograf:in verbunden. Diese Interpretation gefällt mir. Manchmal werden wohl genau durch das schlechte IPod-Foto aus dem Jahr 2013 Emotionen geweckt, die ich schon lange vergessen geglaubt hatte.

Und doch werde ich den Eindruck nicht los, dass das ständige Durch-den-Handybildschirm-Gucken der eigentlichen Ambition, nämlich den Moment in guter Erinnerung zu behalten, zuwiderläuft. Beipflichten würde mir der Soziologe Harmut Rosa, der davon spricht, dass wir uns in der kapitalistischen Gesellschaft die Welt verdinglichen und aneignen wollen. Dieser Steigerungszwang führe zu einer Entfremdung, zu einem Gefühl der Leere. Lebensqualität lasse sich nicht in Ressourcen, Optionen und Glücksmomenten messen. Für ein erfülltes Leben sollten wir laut ihm nach Resonanzbeziehungen streben. Dafür gebe es kein Rezept. Denn Resonanz habe immer ein gewisses Moment der Unverfügbarkeit inne. Und ist damit auch nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt über ein Foto aus meiner Handygalerie abrufbar.

Ich bin der Überzeugung, dass diese Resonanz damit zu tun hat, sich Zeit zu nehmen und sich auf eine Erfahrung einzulassen. Während eines Backpacking-Trips vor einigen Jahren erzählte mir eine Freundin von einer Frau, die von jeder Sehenswürdigkeit, bei der wir Halt machten, eine Zeichnung anfertigte. Um sich den Details zu widmen, um nicht nur kurz des Fotos wegen da zu sein, sondern sich Zeit für das Wahrnehmen der Nuancen zu nehmen. Bei dem Gedanken daran muss ich schmunzeln.

Am Ende einer Wanderung zu einem kleinen Wasserfall setze ich mich auf einen Stein. Ich schließe die Augen und versuche wahrzunehmen, was um mich herum passiert. Das Rauschen des Wassers und wie es nach oben an mein Bein spritzt, das Zwitschern der Vögel, die Sonne auf meiner Haut, den juckenden Mückenstich, den Schmetterling, der an mir vorbeifliegt, den Eisverkäufer, der mir ununterbrochen Preise entgegenruft, was gemischte Gefühle in mir hervorruft, weil es mir bewusst macht, dass dieser Ort viel weniger idyllisch und abgeschieden von den Dynamiken dieser Welt ist, als ich in meiner romantisierenden Erwartungshaltung geglaubt hatte. Und als ich die Augen öffne, versuche ich, den Moment loszulassen, der soeben zu Vergangenheit geworden ist.

Lena Fiala
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