Max Weber definiert Macht als erfolgreiches Herbeiführen eines anvisierten Zielzustands durch ein Subjekt, welches als Kollektiv auch mehrere Individuen umfassen kann. Wenn das Eintreten des Zielzustands vom Handeln anderer abhängt, muss zur Durchsetzung über Mittel der Einflussnahme verfügt werden.
Für Hannah Arendt ist dies Gewalt. Macht für Arendt entsteht nicht durch die Instrumentalisierung eines fremden Willens, sondern durch die freiwillige Bildung eines gemeinsamen Willens, geschaffen durch auf Verständigung ausgerichtete Kommunikation. Alle politischen Institutionen, Gesetze und Normen sind dabei schlichtweg die fortgesetzte Manifestation einer vergangenen konstitutiven Macht.
Einst demokratisch legitimierte, mittlerweile längt materialisierte Basisinfrastruktur, wie Verkehrsinfrastruktur, suggeriert damit eine berechtigte Bemächtigung im Wahrnehmen der ursprünglichen Nutzungsidee. Ein mehrspuriger Ring mit besten Zu- und Abflussstraßen in alle Himmelsrichtungen lässt keine Zweifel, wer auf diesen nicht wenigen Quadratmetern der Primat sein sollte.
Die Macht dieses historischen Konsenses erstarrt dabei jedoch im Angesicht gegenwärtigen Dissens. Macht ist dynamisch, ihre materialisierten Strukturen jedoch nur träge wandelbar. Wenn motorisierte Vierräder ihre physische Überlegenheit somit zur Abschreckung von Zweirädern einsetzen und für Angst, Schrecken und erhöhte Fahrradhelm-Inzidenzen sorgen, ist dies ohne Frage ein Akt der Gewalt. Um dem entgegenzuwirken, bedient man sich eines nicht untypischen Mechanismus der Gegenwart: der Segregation. Denn wo ein gewaltvoller Konflikt wütet, ist die intuitive erste Reaktion erstmal die Streithähne zu trennen. Und so werden Fahrräder von den Straßen evakuiert und über konfuse Umleitungen und Gehwege um den Ring gehetzt. Doch eine Prävention grober Gewalt führt nicht zu Gewaltlosigkeit, sondern zu subtileren, aber persistenten Akten der Gewalt.
“Die Straße respektiert das Fahrrad nicht, also respektiert das Fahrrad auch die Straße nicht“, mag somit ein Erklärungsansatz der etlichen gewissenslosen über rote Ampeln zischenden Drahtesel sein. Und auch sonst bleibt die Straße ein Ort der Gewalt mit einer aufsehenerregenden neuen Miliz, der “Letzten Generation”, welche die Straße, auch in Bayreuth, als ihr Schlachtfeld entdeckt hat. Ihr Trick: Sekundenkleber; der Effekt: menschliche Straßenblockaden, die zur Auseinandersetzung mit Klima, Hunger und Artensterben zwingen sollen. Akte der Gewalt lassen sich sicherlich in anderen Denkschulen differenzieren. In der Dichotomie Macht und Gewalt gibt es jedoch immer nur das eine, oder das andere.
Hannah Arendt erkennt in Gewalt „die Geburtshelferin der Geschichte, […] doch sie macht Geschichte oder Revolution so wenig wie die Hebamme das Kind erzeugt hat.“. Revolutionen wären somit dann nur Nadelstiche der Gewalt, um die bereits machtlosen trägen Strukturen umzustürzen. Das tragische einer solchen Betrachtung des Zusammenspiels von Macht und Gewalt ist die dadurch geschaffene universelle Legitimierungsgrundlage und so kann sich jedes Subjekt stetig auf die Anwendung von Gewalt als Mittel zum Zweck berufen. Diesem Anreiz zur Gewalt kann dabei gegenwärtig de facto kein Subjekt mehr widerstehen. Und “wo Gewalt der Gewalt gegenübersteht, hat sich noch immer die Staatsgewalt als Sieger erwiesen.”. Kann man diese Gewalt jedoch mit Macht substituieren wäre dies gesellschaftlich immerzu vorzuziehen. Umso dringlicher ist es also, dass die Politik und ihre konstituierenden Glieder Räume der Begegnung schaffen, in denen gewaltausübende Subjekte sich zu einem Machtkollektiv transformieren können. Gesellschaftlich dringend von Nöten ist in diesem Zuge die Revolution der fatalen Bewertung des Konsenses als Sieg des einen und Niederlage des anderen. Der Ring ist dafür jedoch der falsche Ort.
Die Stadt Bayreuth hat dies auch erkannt und sich mutig, aber nicht überstürzt an die spannungsgeladene Neuverhandlung der Flächennutzung unserer Allmenden gewagt. Bereits am 11. August 2020 übergab der Radentscheid Bayreuth 5.312 Unterschriften an OB Ebersberger mit der Forderung einer nachhaltigen Verbesserung des Radverkehrs, welcher zwar am 8. September für unzulässig erklärt wurde, aber dieses Thema im Wahljahr so immerhin auf die Agenda setzte.
Schon im Folgemonat wurde folgerichtig die Verwaltung vom Stadtrat beauftragt, Maßnahmenpakete zur Stärkung des Radverkehrs zu erarbeiten. Als Exempel dieses Wandels wurden dabei nicht weniger als die wichtigsten Zu- und Abflussstraßen des Rings, die Erlanger- und Bismarckstraße, auserkoren. Deren zweispurige Fahrbahnen sollen künftig auf eine verengt werden, um so ausreichend Platz für Radfahrer:innen zu schaffen.
Der Stadtrat stimmte im Februar 2022 der Aufstellung des Bebauungsplanverfahrens zu und beauftragte die Verwaltung mit der Beteiligung der Öffentlichkeit. Frühe Verkehrsuntersuchungen widersprachen dabei der These, dass tatsächlich zwei Spuren notwendig seien, um den Verkehrsfluss zu gewährleisten. Ab dem 7. März konnte dieser Plan dann für knapp einen Monat eingesehen werden und Stellungnahmen abgegeben werden. Ganz im Sinne des Betroffenheitsprinzips wurde dann im Juli ein spezifischer Vor-Ort-Dialog für betroffene Anwohner abgehalten und dabei geduldig gemeinsame Sorgen, Wünsche und Fragen angehört, diskutiert und vermerkt.
Somit konnte man sich bereits einem theoretischen Konsens annähern, es verblieb jedoch bei einigen eine praktische Restskepsis bezüglich dann tatsächlich eintreffender Verhältnisse. Doch auch diese Sorgen wurden erhört und so ordnete die Stadt schlichtweg eine per künstliche Sperrung induzierte Simulation der geplanten Verhältnisse über den September an. Dieser sensibel geführte iterative Prozess macht nicht nur Eindruck auf alle Beteiligten und Betroffenen, er macht auch Macht, und das auf Bayreuths Straßen.
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