Von Raphael Guba
Max Coplet liefert mir den von Marlene Dietrich gesungenen Soundtrack zu dieser kleinen Reportage, nur leider befinde ich mich seit Längerem im Krieg, deute das Antikriegslied also etwas um. Ich habe mich radikalisiert an der Front der Bienenretter*innen und Ökofaschist*innen und so ist mir hier in Bayreuth natürlich sogleich ein Unterschied im Vergleich zum letzten Jahr aufgefallen. Um diese Zeit glich unser Campus einem Blütenmeer, aus den unwahrscheinlichsten Ritzen krochen Karthäusernelken (Dianthus carthusianorum) und Natternkopf (Echium vulgare) in einer unvergleichlichen Üppigkeit, wie ich sie nicht kannte. Die Luft war erfüllt vom Surren und Flattern, von den kleinsten Schlupfwespen bis hin zur großen Holzbiene. Menschliche Existenz? Fehlanzeige! Ein Jahr später bin ich ernüchtert, vieles ist verschwunden. Natürlich, die Universität wird wieder genutzt und so verwundert es nicht, dass vor dem Audimax und im Rondell sich nur noch wenige Blüten gen Sonne recken, aber auch sonst wirkt alles ein Stück weniger wild, vieles wurde gemäht. Auch in der Stadt entdecke ich plötzlich überall Stellen, an denen etwas mehr Unordnung, also Leben angebracht wäre. Liegt es an meiner selektiven Wahrnehmung oder hat Bayreuth mit seinem 2020 eingeführten Mahdkonzept und unser Campus mit den 2016 etablierten Biodiversitätsflächen gebrochen? Ich habe mit denen gesprochen, die es wissen müssen.
Rasch klärt mich Prof. Dr. Elisabeth Obermaier vom Ökologisch Botanischen Garten auf: Ich habe mich nicht getäuscht, unser Campus blüht diesen Sommer ein Stück weniger reichhaltig, denn im Juni des letzten Jahres hat die Zentrale Technik – coronabedingt – sämtliche Mähtätigkeiten am Campus eingestellt und der Natur freien Lauf gelassen. In diesem ersten Präsenzsommersemester nach der Pandemie wird wieder nach Plan gemäht. Stellvertretend für die Verantwortlichen für das Konzept der Biodiversitätsflächen an der Universität hat sie sich bereit erklärt, mir mehr über die hiesigen Pflegemaßnahmen zu berichten. Prof. Dr. Obermaier hat zusammen mit Jürgen Franke und Torsten Zickler (beide Zentrale Technik) und Prof. Dr. Begemann (Lehrstuhl Entwicklungsbiologie) ein Mahdkonzept für die universitären Grünflächen entwickelt. Frau Obermaier, selbst ehemalige Studentin der Universität Bayreuth, erzählt von ihren eigenen Studienerfahrungen und den enormen Wandel, der sich seit ihrer Studienzeit am Campus vollzogen hat, denn früher wäre ein rigides Mahdkonzept verfolgt worden, Klagen darüber stießen in der damaligen Verwaltung auf taube Ohren.
Initiiert von Prof. Dr. Laforsch (Lehrstuhl Tierökologie I) sind heute aber 45.000 m² der Universität Bayreuth sogenannte Biodiversitätsflächen. Diese wurden 2016 teilweise mit heimischen Wildblumenmischungen angeimpft und erstrecken sich über weite Teile des Campus, etwa hinter dem GW I oder im Umfeld der Geowissenschaften. Für die technische Umsetzung des vom ÖBG und Prof. Dr. Bergmann erstellten Pflegeplans ist die Zentrale Technik verantwortlich, welche die ausgewiesenen Flächen größtenteils im Herbst mäht. 15 % – 20 % dieser Wiesen werden über den Winter stehen gelassen, um verschiedenen Insektenarten eine Überwinterungsmöglichkeit zu bieten. Diese werden deshalb erst im Frühsommer gemäht, was natürlich mit dem Verlust der ein oder anderen Blüte einhergeht. Ansonsten wurden im letzten Jahr weitere Flächen angegliedert, welche aber bei Bedarf, etwa bei Bauarbeiten oder Veranstaltungen, früher gemäht werden können als eigentlich gewünscht. Neben den in der Nachhaltigkeitsstrategie der Universität festgeschriebenen Biodiversitätsflächen werden auch Gründächer bei Neubauten und Sanierungen zukünftig verpflichtend, sodass auf den Dächern der universitären Einrichtungen immer mehr Allium– und Sedum-Arten ihren Platz finden dürften. Potenzial sieht Prof. Dr. Obermaier auch in den reichen Gehölzbeständen unter anderem hin zur Universitätsstraße mit den an ihnen angrenzenden Grünflächen, auch hier könnten die Mahdregime angepasst werden und somit Säume an diesen auslaufen.
Im Bayreuther Stadtgebiet hingegen war ich wohl einfach besonders aufmerksam, wie mir Stadtgartenamtsleiter Robert Pfeifer erklärt. Hier gab es keine Coronapause und das Mähkonzept wird nach altem Muster weiter betrieben. Dieses unterscheidet sich nicht grundlegend von jenem am Campus, wobei hier zwei Mahden erfolgen, die erste frühestens zum 15. Juni. Wie an der Universität werden 20 – 25 % der Flächen über den Winter stehen gelassen. Seit 2020 gilt das aktuelle extensive Pflegekonzept, welches aber an ausgewählten Orten, etwa der Universitätsstraße oder dem Nordring schon seit über 10 Jahren erprobt worden ist. Eine rasche Umwandlung in reiche Blumenwiesen ist aber nicht an allen Stellen sofort zu erwarten. Über Jahrzehnte wurde das meiste Straßenbegleitgrün penibel gemäht und so braucht die Natur ihre Zeit, bis Wiesenflockenblume (Centaurea jacea), Taubenkropf-Leimkraut (Silene vulgaris) und andere wieder Fuß fassen können. Zu diesem Prozess gehört auch das Ausmagern der Böden, das bedeutet, dass diese nährstoffärmer werden müssen, um spezialisierten Magerrasenarten einen geeigneten Lebensraum bieten zu können. Hierfür muss das Mahdgut entfernt werden, was noch nicht an allen Stellen funktioniert, da der städtische Maschinenpark von Mulchmähern hin zu Balkenmähgeräten umgestellt werden muss. In diesem Zusammenhang wird auch auf integrierte Abweiser und ein angepasstes Tempo bei der Mahd geachtet, um Amphibien, Reptilien und Insekten die Möglichkeit zu geben, die Flucht vor den tödlichen Klingen zu ergreifen.
„Wir können Naturschutz nicht auf die Straßenränder und Mittelinseln von vielbefahrenen Hauptverkehrsstraßen beschränken, sondern wir müssen raus gehen in die Fläche, dann kriegen wir nämlich auch die Arten mit, die ein bisschen empfindlicher sind und einen größeren Flächenanspruch haben.“ Denn sich allein auf städtische und daher sichtbare Nischen zu konzentrieren, hält Pfeifer für falsch. Er sieht noch viel Potenzial innerhalb der kommunalen Grenzen, etwa in den ökologischen Ausgleichsflächen im Stadtteil Thiergarten oder am Oschenberg. Hier wurden neben Streuobstwiesen viele weitere Habitate eingerichtet, die den Spezialisten unter den Arten neuen Lebensraum bieten sollen. Auch innerhalb der Stadt wird versucht, wenn möglich weitere Nischen zu schaffen, indem etwa abgestorbene Bäume unter Berücksichtigung der Sicherheitsvorkehrungen stehen gelassen werden. Ein weiterer Aspekt hin zu mehr städtischem Naturschutz ist in Bayreuth ebenfalls allgegenwärtig – kunterbunte Blumenrabatten in der Innenstadt, Parks und andernorts. Sie werden mehrmals jährlich neu und mit zumeist fremdländischen Zuchtformen bepflanzt, deren ökologischer Nutzen zweifelhaft ist. Diese kostenintensiven Pflanzungen wird es zumindest in Teilen in Zukunft weiter geben, denn das Stadtgartenamt beschäftigt sich nun eben vor allem damit, nicht nur für die heimische Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch den Menschen eine angenehme Umgebung zu schaffen und diese finden großen Gefallen an Petunie, Männertreu und Geranie. Doch zieht der Klimawandel nicht spurlos an Bayreuth vorbei und das Wässern aller früheren Zierbeete wird immer aufwendiger, sodass das Stadtgartenamt zuweilen etwa am Annecyplatz auf trockenheitsresistente und insektenfreundliche Dauerbepflanzungen zurückgegriffen hat, um in den Betontrögen den Bayreuther*innen weiterhin Blütenvielfalt bieten zu können.
So handelt es sich auch bei der Pflege universitärer wie städtischer Grünflächen um einen Aushandlungsprozess zwischen einer Vielzahl von Interessen, welche mit dem Denkmalschutz und der Nutzung (etwa im Hofgarten), der Verkehrssicherheit an Kreuzungen, aber auch schlichtweg auf den altbekannten und hartnäckigen Ordnungsdrang in der Bevölkerung, aber auch den zuständigen Instanzen einhergeht. Daher ist es laut Prof. Dr. Obermaier „nötig, immer mal wieder da drauf zu schauen“ und auch Herr Pfeifer vom Stadtgartenamt meint, dass der städtische Insektenschutz maßgeblich vom Engagement der Bürger*innen und Student*innen abhängt. Das bedeutet, bei Anregungen und beobachteten Mängeln direkt auf die entsprechenden Stellen zuzukommen und öffentliches Interesse an mehr Naturschutz am Campus und in der Stadt zu äußern. So sind etwa mehr mit heimischen Stauden bepflanzte Blumenkübel in der Stadt denkbar, wie etwa seit Kürzerem einer gegenüber des Karstadt steht. Der Leiter des Stadtgartenamts nimmt aber auch die Bayreuther*innen in die Pflicht, viel zu viele hätten sogenannte Schottergärten oder ökologisch nutzlose Pflanzen wie Bambus oder Kirschlorbeer im Garten.
Auch Frau Obermaier hat etwas zum Mitnehmen, einen Tipp für daheim und zwar anspruchslose, teils mehrjährige heimische Blühpflanzen, welche mit mäßiger Wässerung in einem Humus-Sand-Gemisch auf dem studentischen Fenstersims oder Balkon gedeihen, das Gelbe Sonnenröschen (Helianthemum nummularium) etwa, ein niedriges strauchiges Gewächs, das von bis zu 33 Wildbienenarten frequentiert wird. Aber auch die Echte Betonie (Betonica officinalis) oder die Färberkamille (Anthemis tinctoria) sind einen Versuch wert.
Wer sich weiter im städtischen Insekten- und Naturschutz einsetzen möchte, kann sich im Verein „Die Summer e. V.“ engagieren, welcher in Kooperation mit der Stadt eine Vielzahl von Insektenschutzprojekte ins Leben gerufen hat und betreut.
- Die Nacht gehört den Aussätzigen - 31. Januar 2023
- Der Armut neue Blüten – Gesegnete Weihnacht - 24. Dezember 2022
- Beachpolo in Sommerschield - 14. Dezember 2022