Ein Besuch in den Enklaven der letzten Kolonie Afrikas.
Haben Sie schonmal etwas von der Westsahara gehört? Und nein, damit meine ich nicht den westlichen Teil der Sahara. Nein? Ich glaube so geht es den meisten Menschen in Europa. Die Westsahara ist die letzte noch verbliebene Kolonie Afrikas. Doch nicht wie damals unter der Herrschaft von europäischen Kolonialmächten wie Deutschland oder Frankreich, sondern unter der Kontrolle des Staates Marokko.
Die Westsahara liegt, tatsächlich, am westlichsten Rand der Sahara. An ihrer Westküste begrenzt durch den Atlantik, im Norden durch Marokko, im Osten durch Algerien und Süden durch Mauretanien. Auf dem Gebiet, welches die Größe dreiviertel so groß wie Deutschland ist, leben heute 600.000 Menschen. Doch von diesen Menschen sind nur 100.000 Saharauis. Der Rest sind Marokkanier*Innen, marokkanisches Militär oder Araber. Die meisten Saharauis leben nämlich im Exil in Enklaven in den Nachbarländern wie Mauretanien oder Algerien und zusätzlich lebt zudem ein großer Teil in Spanien. Eine dieser Enklaven in Algerien durfte ich in den Semesterferien besuchen. Defacto werden die Städte und Dörfer auch Lager oder Camps für Geflohene genannt, da die Menschen vor 47 Jahren vor der marokkanischen Besatzung fliehen mussten und bis heute dort mit deren Kindern und Kindeskindern leben. Viele von ihnen haben ihre eigentliche Heimat bis heute noch nicht betreten können. Der Konflikt eskalierte mit der spanischen Dekolonisierung der Westsahara. 1975 unterzeichneten Spanien, Marokko und Mauretanien ein Abkommen, in dem Spanien die Gebietsansprüche Marokkos anerkannte, ohne die Beschlusslage der Vereinten Nationen zu berücksichtigen. Diese besagte, dass es nach der Dekolonisierung ein Referendum der Bevölkerung geben solle, welches über die Souveränität des Territoriums entscheiden sollte. Doch um die Machtposition Marokkos zu sichern, rief der damalige König zum sogenannten grünen Marsch in die Westsahara auf, dem 350.000 Menschen folgten. Als Reaktion darauf rief die sahaurische „Volksbefreiungsfront“ POLISARIO die Demokratische Arabische Republik Sahara aus (DARS) und ein Krieg zwischen den beiden Fronten begann, der bis zum Waffenstillstand im Jahre 1991 andauerte. Von dort an begann die UN-Friedensmission MINURSO, die den Waffenstillstand sichern sollte und für das geplante Referendum verantwortlich war, doch scheiterte diese schnell, da die Lage zu unübersichtlich gewesen ist. Bis heute ist die Situation komplex. Es kommt immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen von beiden Seiten. Der marokkanische Staat besetzt die Hälfte der Westsahara. Die andere wurde in den Kämpfen von der POLISARIO zurückerobert. Jedoch ist die marokkanische Seite deutlich rohstoffreicher, mit Vorkommen von Phosphor oder reichen Fischbeständen. Diese sind ein wichtiges Standbein der marokkanischen Wirtschaft, weshalb Marokko auch alles tut, um die Kontrolle über diese Gebiete zu behalten. Indirekt sind auch die EU und Deutschland an dem Konflikt beteiligt, da diese mit Marokko regen Handel treiben und so die Legitimität der Besatzung indirekt anerkannt wird. So stehen sich verschiedene Interessen gegenüber und bis heute ist keine Einigung im Westsahara-Konflikt erreicht worden.
Ich muss ehrlich zugeben, dass auch ich von der Geschichte und der aktuellen Situation und Brisanz vor der Reise nach Layoun keine Ahnung gehabt habe. Doch mit dem Ziel die arabische Sprache zu lernen, machten ich und ein paar andere Studierende uns auf den Weg nach Tindouf. Mit einer Nacht Zwischenstopp in Algier sind wir dann schließlich in der Wüstenstadt Tindouf gelandet. Primäres Ziel der Reise ist es gewesen, die arabische Sprache zu lernen, doch eben wegen dieser komplexen und vielschichtigen politischen Situation, war das Thema aus dem Alltag dort und den Ausflügen, die wir unternahmen, nicht weg zu denken. Oft geht es bei solchen Reisen darum, den Menschen vor Ort zu „helfen“ oder „die Zeit des Lebens“ in „exotischen“ Ländern zu haben, was durchaus kritisch betrachtet werden muss. Doch mit dem Konzept der Sprachreise konnte ich mich irgendwie identifizieren. In der Praxis sah das Ganze dann so aus, dass wir in den Alltag von Gastfamilien hineingeworfen wurden, das heißt mit ihnen gegessen, gekocht, gespielt und eben auch bei ihnen zuhause geschlafen haben. Bis auf den heiligen Tag Freitag hatten wir jeden Tag von neun bis um 13Uhr Unterricht in einem Frauenzentrum, der von Saharauis geleitet wurde. Doch da die Familien oft kein Englisch, sondern nur Arabisch oder Spanisch gesprochen haben, musste man das Gelernte sofort anwenden, um in der Familie zurecht zu kommen.
Der Alltag gestaltete sich häufig nach ähnlichen Mustern. Morgens eben bis 13 Uhr Arabischunterricht danach in die Familie und dann gab es, wie es glaube ich in vielen südlichen Ländern üblich, eine Mittagspause (Siesta) bis um 17 Uhr. Man könnte sagen, die perfekte Zeit, um den gelernten Stoff nochmal durchzugehen, oder Vokabeln zu lernen. Doch das hat sich bei mir nicht immer so eingestellt. Ab 17 Uhr begann dann so zu sagen die zweite Hälfe des Tages. Verbracht auf dem Markt, im Hamam oder bei den Familien der Mitreisenden. Und schon nach ein paar Tagen stellte sich eine kleine Tradition ein, in der wir uns gegen Abend mit einer Decke in den Sand setzten und alle zusammen Musik machten, Tee tranken und bis zum Sonnenuntergang eine gute Zeit hatten. Auf diese Weise ging es recht schnell, dass man einen relativ engen Kontakt zu den Gastfamilien aufbauen konnte. Was täglich nicht fehlen durfte, war die klassische Teezeremonie, die aus bestimmten Abläufen der Teezubereitung bestand und dreimal wiederholt wurde. Auch dazu gehörte das Spiel „Sikh“, was dem deutschen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht ähnelte aber mit Stöcken gespielt wurde.
Doch zu dem Programm gehörte nicht nur der tägliche Sprachunterricht, sondern auch ein sehr umfangreiches kulturelles Angebot. Wir besuchten das Nationalmuseum in Rabuni etwa eine Stunde entfernt, sprachen mit diversen NGOs, die sich für Menschenrechte, oder die Identifizierung von Leichen einsetzten. Außerdem fuhren wir für drei Tage in ein einen anderen Ort in dem Sahauris wohnten, und konnten auf der dreistündigen Fahrt einen ganz anderen Eindruck von der Wüste bekommen. Zudem trafen wir den Bürgermeister unsern Ortes, was uns einen wirklich guten und authentischen Blick gegeben hat, über die Situation und die Lage der Menschen in den Dörfern, aber auch in den besetzten Gebieten der Westsahara.
Khadja Bedati setzt sich für die Rechte der Sahauris in Deutschland ein und ist Referentin für die Themen wie Menschenrechte, Umwelt und Entwicklungszusammenarbeit beim Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur (ZEOK e.V.). Im Interview habe ich sie gefragt, wie sich der Konflikt für sie persönlich anfühlt, welche Hoffnungen sie hat, aber auch welche Verantwortung Deutschland bei dem Thema hat:
Falter: Wo seid ihr aufgewachsen/geboren und wie und wo wurdet ihr großgezogen?
Falter: Wie oft seid ihr heute noch in den Camps und wie fühlt es sich heute an dort zu sein?
Falter: Wie würdet ihr die Lage in den Camps heute einschätzen? Wie geht es den Menschen? Was wollen sie?
Falter: Was macht für Euch die Sahaurische Kultur aus und wie unterscheidet sie sich zu bspw. der von Marokko oder Algerien?
Falter: Was wünscht Ihr euch für die Zukunft für die Sahaurische Bevölkerung? Und welche Perspektiven seht ihr, dass sich die Situation wandelt?
Falter: Welche Rolle spielt dabei die Bundesregierung?
Falter: Wie groß ist die Sahaurische Community in Deutschland?
Falter: Wie beurteilt ihr das Verständnis der Menschen in Deutschland über den Konflikt? Wie müsste sich die Bildungsarbeit zu dem Thema verändern?
Antworten folgen…
- Bayreuth im Raum - 26. Oktober 2022
- In den Westsaharischen Enklaven in Algerien - 9. Juni 2022
- TWITTER KOMMENTIERT 2021 - 31. Januar 2022