Hölle der Löwen

Gustave Doré illustrating Canto XXVIII of Divine Comedy, Inferno, by Dante Alighieri. Caption: The Severed Head of Bertrand de Born speaks; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:DVinfernoSeveredHeadOfBertranddeBorn_m.jpg

Die Höhle der Löwen oder das amerikanische Pendant Shark Tank funktionieren mit einem simplen Konzept und konnten sich damit in der Unterhaltungswelt festbeißen. Kreative Gründer:innen präsentieren ihre Visionen, ihre Herzensprojekte einer kritischen Jury, welche das Präsentierte, als auch die Präsentierenden auf Herz und Niere prüfen, um dann ihr Urteil zu fällen. Im besten Falle konnte man die Jury begeistern, was durch ein Investitionsangebot ausgedrückt wird und dann in langweiligen Verhandlungen über die genauen Konditionen mündet. Am Ende ergibt sich dann ein recht romantisches Bild, von glücklichen Entwickler:innen, die nun befähigt werden ihre Ideen im großen Stile zu verfolgen und die Welt damit zu bereichern. Die herausragende Qualität dieser Sendungen ist die erfolgreiche reduktionistische Abbildung unserer Wirtschaftsordnung, ihren entscheidenden Akteuren und einigen zentralen Beziehungen zwischen diesen. Zum einen natürlich die Unternehmen, repräsentiert durch mittellose Ideenträger:innen, dann die Investoren, also die Jury, welche letztendlich versuchen, die dritte Instanz möglichst genau zu antizipieren, nämlich die Nachfrage und somit die Gesellschaft, welche das Geschehen distanziert auf ihrer Couch verfolgt. Diese ungleiche Intimität mit dem Unternehmen in dieser süßen Dreiecksbeziehung macht diese Beziehung brüchig, gar toxic, doch loslassen möchte niemand.

Das ist auch nicht überraschend, bedenkt man die grundlegenden Interessen aller Parteien, die Unternehmen wollen vor allem eines, nämlich die Konkurrenz überleben, die Hauptzutat dafür ist Erfolg und eben diesen fordern die Investoren ein, die Investition soll sich ja schließlich lohnen. Und Erfolg wird in der bestehenden Wirtschaftsordnung einzig und allein durch die Höhe der schwarzen Zahl am Quartalsende bestimmt. Das ist erstmal kein Problem, denn die dritte Partei, die Gesellschaft, hat ja schließlich auch noch ein Mitspracherecht durch die so zentrale Nachfrage, wodurch die Welt nicht von diesen zwei Akteuren dominiert wird, sondern von gesellschaftlichen Präferenzen. So die Theorie, die Praxis sieht jedoch anders aus. Die Nachfrage ist nicht effizient, das sich einstellende Marktgleichgewicht weicht vom gesellschaftlichen Optimum ab. Denn für ökonomisch unter konstantem Erfolgsdruck stehende Unternehmen ist die Ausbeutung von Human- und Naturkapital einfach zu attraktiv, somit lassen sich schlichtweg am besten Gewinnmargen aufbauen. Frohlockende Neoliberale sehen in der Ermächtigung des Individuums die Lösung aller Probleme, wer sonst außer die aufaddierten freien Individuen könnten das optimale Marktgleichgewicht bestimmen? Eine angenehme Lösung, die das vermeintliche Machtmonopol und somit die komplette Verantwortung den summierten Individuen einer Gesellschaft aufhalst.

Das ist dahingehend absurd, da Individuen durch asymmetrische Informationen nicht im Stande sind, ihren Präferenzen entsprechend zu konsumieren. Doch auch Transparenz und somit theoretisch präferenzbasierter Konsum ist kein wirksames Mittel, um praktisch präferenzbasiert zu konsumieren, denn diese Allokation von Verantwortung ist ineffizient, die Mittel von Individuen schlichtweg zu begrenzt, die Informationsbürde zu groß.

Unsere Wirtschaft muss also zur Paartherapie, doch wer traut sich die Leitung dieser so richtungsweisenden Vermittlungsgespräche bloß zu? Die Politik duckt sich noch weg, ist aber doch prädestiniert effizient Verantwortung zu tragen und diese praktisch umzusetzen.

Das demokratische System ist stabil, hat noch Kontakt zum Fundament, es ist ja eben die Herrschaft des Volks, das politische Mandat somit systeminhärent nachfragebasiert definiert. Politik hat nicht nur den Auftrag dem Volkswillen zu folgen, sondern auch die Macht diesen umzusetzen. Das erscheint trivial, ist es aber in der Anwendung nicht.

Wenn etwa die Mehrheit in Theorie für die bindende Einhaltung von Menschenrechten über die gesamte Lieferkette plädiert, sind reale Effekte dieser theoretischen Mehrheitsmeinung durch die defektiöse Nachfragelenkung und Intentions-Verhaltens-Lücke durchaus fraglich. Wenn hingegen dieser Haltung ein politisches Mandat verliehen wird, besteht Handlungsauftrag und Handlungsfähigkeit dieses zu realisieren. Viel mehr noch erlaubt die politische Lenkung im Vergleich zum institutionslosen Individualismus eine reflektierte, effiziente Allokation von Verantwortung. So bedarf es einer intensiven Reflektion über Ideale und Werte bloß einmal pro Legislaturperiode vor richtungsweisenden Wahlen. Man bleibt somit natürlich abhängig von Mehrheiten, das erscheint aber doch attraktiver als die Dominanz durch eine kapitalstarke Minderheit.

Solche Handlungsgebote basierend auf einem demokratischen Aushandlungsprozess mit religiösen Ver-/Geboten gleichzusetzen erscheint dabei weit gefehlt. Denn während die einen absoluten metaphysisch begründeten Geltungsanspruch einfordern, sind die anderen nur explizite Gesellschaftsnormen, die den Zeitgeist einfangen und dabei durch ihre demokratisch begründeten Geltungsanspruch immerzu sensitiv auf Fortschritt und Wandel reagieren müssen. Letztendlich wird damit eine zeitlich befristete Kollektivierung von schon immer bestehenden individuellen Handlungsmaximen geschaffen. Demokratisch legitimierte Schranken helfen so die lange aufrechterhaltene Scheindichotomie von Freiheit und Verantwortung aufzulösen und damit den modernen Individualismus mit einem progressiven Kollektivismus zu versöhnen.

Lukas Baderschneider
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