Von Lukas Sperling
Mein Freund Raphael und ich mussten ein wenig überlegen über das Thema meiner Einstiegsbotschaft. Obwohl: Meine Erstlingskolumne ist dies eigentlich nicht, meine erste geplante Veröffentlichung wurde in unschönster Manier abgecancelt, aber dazu mehr an anderer Stelle. Nun zum Thema dieses Textes, der Würde. Ein Begriff, der in seiner Bedeutung nicht ganz einfach zu fassen ist. Die sogenannten Gründerväter*innen unserer BRD haben sich versucht und durch den Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ein solch riesiges Einfallstor für Interpretationen in unserem GG geschaffen, dass es unmöglich scheint, es jemals wieder zu schliessen. Die Würde des Menschen also ist unantastbar, das bedeutet für manche, dass ihnen der Cucinelli-Pullover niemals vom Leib gerissen werden darf und sie mit Menschen ohne schweizerischem (oder sächsischem) Manufakturzeitmesser am Handgelenk nicht ein Wort wechseln – das ist unter ihrer Würde. Für andere bedeutet sie, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und nichtsanktioniertes Arbeitslosengeld II als Taschengeld erhalten. Dürig hat im Juristischen die (Menschen-) Würde als verletzt gesehen, sofern der konkrete Mensch als blosses Objekt und nicht Subjekt betrachtet wird. Dem folgt zwar in einigen Entscheidungen das BVerfG, ich wage allerdings zu bezweifeln, ob es einschlägigen Rotlichtkunden auch so geht.
Persönlich würde ich mich vermutlich irgendwo zwischen diesen Positionen verorten, zwar beziehe ich von meinen Eltern so etwas wie ein Arbeitslosengeld, jedoch empfinde ich es auch als nahezu unzumutbar, mit Zeitgenossen zu reden, deren Handgelenk eine Daniel Wellington ziert. Würde ist mithin perspektivisch und durchaus differenziert zu betrachten, aber das ist hier nicht meine Aufgabe. Für mich ist die Zeit von Anfang Dezember bis ins neue Jahr hinein die reine Hölle. Überall beginnen die Menschen alljährlich ihre Liebe zu Tannenreisig, Kerzen und sakraler Musik wiederzuentdecken. Die Heuchelei, mit der die sonst so woken und umweltbewussten Grossstadtkleingeister in ihr jeweiliges Umland fahren um möglichst grosse und dichte Nordmanntannenjungbäume niederzumähen und sie in ihre rot-weiss-silber dekorierten Wohnzimmer zu pflanzen, mit entsprechender Lametta zu behängen und fortan für ein paar Wochen dieses arme Bäumlein allabendlich mit schauderlichen Gesängen und andächtigen Blicken zu versehen, um sich danach mit ihren geistlosen Kumpanen auf einen – am besten selbstgepanschten (trotzdem 3,99 € Crianza) – Glühwein zu treffen und von der besinnlichen Zeit schwafeln, widert mich an. Für mich ist die beste Weihnachtsmusik das indizierte Album „Sonny Black“ von Bushido, obwohl mir auch das dieses Jahr vergällt wurde, von dem mittlerweile in die Jahre und Hausschuhe gekommen Anis Ferchichi der, nur um den Garten seines Vorstadtreihenendhauses ordentlich bewirtschaften zu können, mit Amazon eine herzzerreissend unwürdige Homestory gedreht hat – für eine läppische Million. Ernstzunehmende Gefährlichkeit? Mehr Aniskuchen als Anis Amri… genug davon.
Hier erst einmal zwei durchaus wichtige Regeln zur Würdewahrung zwischen dem 24.12 und 01.01: Zuallererst natürlich das wichtigste: niemals, aber auch wirklich nicht einmal in absoluter pekuniärer Not, in den Weihnachtstagen oder in der Nacht der Jahreswende Konfirmations- oder Abiballanzüge sowie deren scheusslich farbige Weiberbekleidungspendants tragen. Nach den Fresseskapaden passen diese Relikte unzivilisierter Festtagsbekleidung weder an den bespeckten Hüften noch an den sorgfältig gemästeten Ranzen. Überdies wäre es ratsam, diese würdelosen Objekte noch am Vierundzwanzigsten in die Altkleidersammelstelle zu geben. Denn ich bin mir sicher, die Caritas versendet per Express und mithin gibt es grosses Grinsen, wenn zum zweiten Weihnachtsfeiertag die Fetzen in der Dritten Welt angekommen sind.
Nun zum nächsten Punkt: Wer im Alltag keinen Champagner trinkt, hat dies auch in der Zeit zwischen den Jahren zu unterlassen. Es gibt nichts Lächerlicheres als eine Champagnerbestellung zu besonderem Anlass, dann ist es auch meist noch nur ein Flascherl und zudem noch Brühe von Moët (übrigens nicht Moeee ausgesprochen, sondern Moettt) oder Clicquot. Im übelsten Fall wird dies dann auch noch in unsäglich dilettantischer Manier in den Sozialen Medien geteilt, was, wenn sich der Schaumweingenuss auf weniger als einmal monatlich beschränkt, bei aufmerksamen Gefolgsleuten nur ein mitleidiges Lächeln hervorruft. Wer glaubt, sich sein Leben mit ein wenig Perlage verschönern zu müssen bleibt lieber beim Sterni (vielleicht zur Feier des Tages ein Oetti?), Rotkäppchen oder Freixenet. Es ist unwürdig einem eingefleischten Kronenpilstrinker einen schönen Blanc de Blanc zu servieren – Perlen vor die Säue. Des Weiteren gibt’s für die professionellen Schampusschabracken auf einmal Bezugsschwierigkeiten zwischen dem Siebenundzwanzigsten und Einunddreißigsten. So ging es beispielsweise mir und statt täglicher Dosis Bolli musste ich mit Ruinart leben und das ist unwürdig.
Nachdem man diese zwei Faustregeln nach bestem Wissen und Gewissen befolgt hat, kann nicht mehr viel schief gehen. Obwohl vermutlich schon, aber Schlimmeres kann sich mein zartes Hirn nicht ausdenken. Zu Neujahr dann bitteschön ein einziges Mal auf gute Vorsätze verzichten (ja es ist mir bewusst, dass Neujahrsvorsatz-Bashing ein alter Hut ist), aber vor allem das alljährliche Versprechen gegen sich selbst mehr Sport zu treiben, könnte doch bitte endlich ersetzt werden vom Sparen auf das Fettabsaugen. Chirurgie ist effizienter, man nervt damit niemanden und es ist bequemer.
So, bittschee jetzt haben wir´s auch schon fast. Nachdem man sich also zusammengerissen hat rund um den Jahreswechsel, ist nicht mehr viel falsch zu machen. Back to Business und das heisst im Grunde: Jeder wie er mag. Würdig ist denn doch im Grunde derjenige, der sich in sich ruhend in seinem natürlichen Habitat bewegt.
Es kann derjenige in Würde betteln, der es professionell macht, es kann in Würde Kostüm tragen, wer es sich zur Gewohnheit gemacht hat, es kann nur derjenige Jogginghosen in Würde tragen, dessen Leben sich in einem Rahmen abhandelt, in dem das als angemessen anzusehen ist. Es kann des Weiteren nur würdig jemand einen Cappuccino nach elf Uhr trinken, dem nicht bewusst ist, dass es sich nicht gehört. Es ist schier unmöglich seine Würde zu wahren, wenn man sich außerhalb seines gewohnten Lebenswandels bewegt.
Mit anderen Worten: Schuster bleib bei deinen Leisten.
Frohes Neues an alle, die es bis hierher ausgehalten haben.
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