Sollten die Supermärkte in Bayern ihre Öffnungszeiten an andere Bundesländer anpassen? – Ein Streitgespräch zweier Studierender über die gute alte bayerische Sonderrolle
Von Lena Fiala und Lennart Fiedler
Pro – Lennart Fiedler
Der heilige Sonntag, eine der letzten Nachwirkungen der jahrhundertelangen christlichen Einflussnahme in Deutschland durch die Kirche…dachte ich. Bis es mich zum Studieren aus der pulsierenden Metropole Berlin in die, nun ja, etwas weniger pulsierende, bayerische Kleinstadt Bayreuth verschlagen hat. Nach meinem Umzug ist mir ein Aspekt an diesem tollen Bundesland sofort aufgefallen: Die Supermärkte haben nur bis 20 Uhr geöffnet. ALLE und ÜBERALL – ob ich auf dem Land im schönen Oberfranken unterwegs bin, in der Bayreuther Innenstadt oder in der Landeshauptstadt München. Überall muss ich meine Erledigungen bis exakt 20 Uhr BEENDET haben. Und da bin ich jetzt mal ganz ehrlich: das war ein Schock für mich. Es bedarf so viel Planung des Tages und lässt so wenig Raum für Spontanität.
Einige werden jetzt sagen: „Dann Plan doch deinen Tag besser und überleg dir, was du brauchst und mach nicht alles immer kurz vor knapp.“ Leute, das ist nicht leicht. Ich lebe mittlerweile schon eineinhalb Jahre in Bayreuth und es passiert mir immer noch regelmäßig, dass ich in die Falle tappe. Trost finde ich dabei auf Twitter. Auf die Nachricht, dass aufgrund des Teillockdowns in den Niederlanden alle Supermärkte schon um 20 Uhr schließen würden, kommentierte der Moderator Christian Orth: „Ich lebe in Bayern also schon mein ganzes Leben lang im Teillockdown.“ Ich muss sagen, er bringt es auf den Punkt. Wie oft mir schon um halb acht eingefallen ist, dass ich ja noch etwas einkaufen müsste oder für eine Feier zugesagt hatte, Bier mitzubringen…
20 Uhr ist aber auch eine dermaßen unpassende Uhrzeit. Die Zeit liegt genau in der Mitte der verschiedenen Phasen des Tages. Bei mir ist zwischen der „Ich bin noch ein bisschen länger in der Bib“-Phase und der „Wir treffen uns dann noch auf ein Bierchen“-Phase. Unpraktisch.
Mein Vorschlag wäre daher: 21 Uhr. Perfekte Uhrzeit. Dann haste entspannter Zeit, um den Übergang dieser beiden Phasen zu gestalten und du kannst deinem ganzen Wesen etwas mehr Ruhe und Gelassenheit zugestehen. Immer dieser Stress, vor 20 Uhr noch zum Supermarkt hetzen zu müssen…
Du fragst dich, warum nicht gleich bis 24 Uhr öffnen? Niemand macht nach 21 Uhr noch einen Wocheneinkauf. Alles, was ich nach 21 Uhr noch einkaufen würde, bekomme ich auch im Späti an der Ecke. Bier, kleine Snacks und Zigaretten. Ach so, vergessen, das gibt’s hier ja nicht. Für alle, die aus Bayern kommen: Spätis sind diese kleinen Läden, die eben Dinge haben, die man nach 21 Uhr für gewöhnlich braucht. Meistens Bier…
Um ein letztes klassisches Gegenargument aufzugreifen. „Aber wenn die Läden länger geöffnet hätten, dann müssten die Mitarbeitenden doch auch länger arbeiten!?“ Ja, das stimmt. Wäre das nicht ein perfekter Job für Studierende? Wüsste nicht, was dagegensprechen würde…
So, jetzt mal Butter bei die Fische: In anderen, nein in ALLEN anderen Bundesländern funktioniert es doch auch, also warum dann bitte nicht auch in Bayern? Dafür könnt ihr von mir aus auch den heiligen Sonntag behalten, Deal…!?
Contra – Lena Fiala
Seit ich aus einer kleinen bayerischen Gemeinde nach Bayreuth gezogen bin, bin ich häufiger mit Menschen aus anderen Bundesländern konfrontiert. Meiner Erfahrung nach haben sie viel Spaß daran, sich bei jeder Gelegenheit über die kleinen, aber feinen Eigenheiten des Freistaats zu beklagen – so auch über die Öffnungszeiten der Supermärkte.
„Achso, wir sind ja in Bayern, da musst du natürlich am Samstag noch einkaufen gehen, weil sonntags haben die ja zu…“, ist kein seltener Kommentar. Und überhaupt, dass man nur bis 20 Uhr einkaufen könne, das sei eine große Unverschämtheit, mache es das Leben doch so viel komplizierter.
Ich bin da anderer Meinung. Ich bin davon überzeugt, dass es das Leben einfacher macht, wenn man einen gewissen zeitlichen Rahmen hat, in dem man einkaufen gehen kann und einen, in dem man das eben nicht kann und damit auch nicht muss, man hat sozusagen eine feste Deadline – das hat bekanntlich schon so manchem Studierenden den Arsch gerettet.
Zumindest aber ist das mit dem Einkaufen vor 20 Uhr, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, reine Gewohnheitssache. Wenn du es nicht anders kennst, ist es einfach Teil deiner Routine. Sowieso ist dieser Rhythmus relativ, um zehn vor zehn zur Edeka zu hetzen ist keinen Deut besser als um zehn vor acht, nur dass du dann um viertel nach acht wieder zu Hause bist und den Kopf für andere Sachen frei hast. Du kannst das Einkaufen nicht noch länger vor dir herschieben.
Es scheint unglaubwürdig, aber wegen dieses Themas sind in meinem Umfeld schon heftige Diskussionen entbrannt. Das Absurdeste ist ja, dass die, die in Soziologie-Seminaren nach Kapitalismus-Kritik schreien, sich dann dafür aussprechen, dass Supermarkt-Mitarbeitende am besten rund um die Uhr schuften sollen, sieben Tage die Woche. Längere Öffnungszeiten hätten das Arbeiten in verschiedenen Schichten für die Mitarbeitenden zur Folge. Dass Schichtarbeit krank machen kann, ist nicht erst einmal durch wissenschaftliche Studien belegt worden.
Und jede*r, der*die schonmal einen Job hatte, bei dem man sonntags arbeiten muss, weiß, wie traurig es ist, beispielsweise in einer Bäckerei hinter der Theke zu stehen und zuzusehen, wie alle anderen an diesem Tag frei haben und einen schönen Ausflug machen, während man selbst nur allen wie von der Kassette abgespult einen schönen Sonntag wünscht und sich selbst, man hätte an diesem Tag wenigstens ein bisschen Zeit für Freunde und Familie.
Bei aller berechtigten Kirchenkritik, da lobe ich mir doch den heiligen Sonntag, der im guten alten Bayern eben noch hochgehalten wird, dem Ladenschlussgesetz der Landesregierung sei Dank. Ich brauche nicht noch einen Tag mehr in der Woche, an dem die Konsumgier um sich schlagen kann. Dieser Sonntag, an dem alle Geschäfte geschlossen haben, das ist doch Kapitalismuskritik pur. Und ja, es gibt hier auch keinen Späti um die Ecke, wenn man noch Bier für die WG-Party nebenan braucht. Aber zur Not kann man immer noch zur Tanke – die tuts auch.
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