Die Vorlesung „Liberalismus und gesellschaftliche Ordnung“ des Honorarprofessors Thorsten Polleit stieß an der Uni Bayreuth auf heftigen Gegenwind.
von Anna Kaufmann und Lena Fiala
„Sie hatten wohl wenig Lust auf Bilder“, sagt Lisa Skender, Organisatorin der Kundgebung am 16. Dezember vor dem GWI, als Reaktion auf die Verlegung des zweiten Teils der Vorlesung “Liberalismus und gesellschaftliche Ordnung” von Honorarprofessor Thorsten Polleit auf Zoom. Die Vorlesung hätte am Nachmittag im Hörsaal 25, RW I, stattfinden sollen. Da die Sitzplätze aufgrund der Regeln zur Hörsaalbelegung hinsichtlich der Corona-Pandemie limitiert seien und eine hohe Nachfrage an der Vorlesung zu erwarten sei, habe man sich für das digitale Format entschieden, so die offizielle Begründung. Der Protest vor der Mensa findet trotzdem statt.
„Erlaubt sind Transparente, Megafone. Keine abgesägten Kanthölzer.“ Etwa 80 Studierende und politisch engagierte Menschen aus Bayreuth und Bamberg haben sich vor der Mensa zur Kundgebung versammelt. Dazu aufgerufen hatte die Kritische Uni Bayreuth, der Sozialistisch-demokratische Studierendenverband (SDS, Hochschulgruppe von die LINKE), die Antifa Bayreuth und die Bayreuther Arbeiterjugend. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Jusos und die Grüne Hochschulgruppe sind mit von der Partie. Die Veranstalter*innen wollen keine pöbelnde Störaktion. Der Protest richte sich nicht pauschal gegen die Lehre des radikalen Marktliberalismus. “Wir sind der Meinung, dass es durchaus zum Inhalt eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums gehört, die Lehre der österreichischen Schule vorzustellen”, so der Flyer.
Erst durch die Frontal21-Doku “Die Goldhändler von Degussa” hätten die Protestierenden von den Hintergründen des Honorarprofessors Polleit erfahren. Dort wird er als Chefökonom der Degussa Goldhandel GmbH vorgestellt. Der Gründer dieser Firma, Baron August von Finck, hat das Namensrecht des Chemiekonzerns “Degussa” gekauft, obwohl dieser stark in die Verbrechen des Nationalsozialismus involviert war. Das Unternehmen kaufte Gold von im KZ inhaftierten jüdischen Bürger*innen an, um es weiterzuverarbeiten, und profitierte damit stark vom Holocaust. In den Anfängen der AfD war die Degussa Goldhandel GmbH laut der Doku ein wichtiger Lieferant des AfD-Goldshops. Auf diese Weise hätte die AfD bis zur Änderung des Parteiengesetzes im Jahr 2015 zwei Millionen Euro Umsatz erzielt.
Der Geschäftsführer von Degussa, Markus Krall, sei vor allem mit seinem Buch “Die bürgerliche Revolution” aufgefallen. Er spricht von „Kampf“ und „Kontrarevolution“ gegen „gewaltbereite Fußtruppen der Antifa“ und „Islamisten“ und möchte in diesem Zuge das Wahlrecht für Sozialhilfeempfänger abschaffen. Regierungen und Staat wie sie in der Gegenwart sind, sieht er kritisch. Krall über Angela Merkel: “Meiner Überzeugung nach hat sie ein ideologisches Zielbild und das ist sozialistisch. Also die Abschaffung der Marktwirtschaft und also die Abschaffung unserer Freiheit.” “Polleit und Krall direkt” heißt der gemeinsame Podcast der beiden auf YouTube, in dem sie diese und ähnliche Auffassungen verbreiten. Zudem finanziert von Finck laut Frontal21 rechte Organisationen.
„Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen der Doku ist uns sehr wichtig”, sagt Tobias Schmidmeier, Sprecher der Juso-Hochschulgruppe. Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen an der Kundgebung werfen Polleit eine antidemokratische Haltung in der Öffentlichkeit und Scheinobjektivität durch seine Positionierung als Wissenschaftler vor. „Wir wollen Hochschulen als Orte der freien Bildung“, sagt ein Mitglied der DGB Hochschulgruppe Bamberg. “Wir sind dagegen, dass irgendwelche ‚faschistoiden‘ Menschen ihre Gesinnung verbreiten können”. Ähnlich auch die Position Schmidmeiers: „Jede Wissenschaft kann nur auf dem Boden der Verfassung stattfinden.“ Zu Thorsten Polleit sagt er, es gebe „Äußerungen, die klar eine andere Gesellschaft fordern oder Bezüge zur sogenannten ‚Neuen Rechten‘ herstellen”, sein Lehrauftrag sei deshalb „umso besorgniserregender“.
Organisatorin Skender geht in ihrer Rede auf die in der Doku erwähnten Hinweise auf Polleits Staatsfeindlichkeit ein. So werde auf der Webseite des Ludwig von Mises Instituts die Krake als eindeutig antisemitisches Symbol für Weltverschwörung verwendet, die Ziele der UN für nachhaltige Entwicklung “als Tarnung, um den globalen Sozialismus durchzusetzen.” Sie kritisiert Polleits Kontakte zu homophoben bzw. demokratiefeindlichen Autoren wie Birgit Kelle („Gendergaga“), Hans-Hermann Hoppe („Der Wettbewerb der Gauner“): „Man kann sich sehr leicht mit Nichtwissen aus Kontakten zu der Neuen Rechten rausreden.“
Die Kundgebung verläuft friedlich. Das Einzige, was an diesem Tag klirrt, ist die Kälte und das Trommeln der Bayreuther Gruppe “Rhythms of Resistance”, die sozial und ökologisch kritische Proteste begleitet. Wie unterschiedlich die Meinungen zu Polleits Vorlesung sind, zeigt sich im Gespräch mit den Teilnehmer*innen der Demo: Wenig begeistert von der Kundgebung zeigt sich der VWL-Student Felix: „Leschke ist der Letzte, der irgendwelche staatlichen Strukturen abschaffen oder Anarchokapitalismus durchsetzen will.“ Professor Leschke sagte dem FALTER gegenüber in einem Interview, der Lehrstuhl hätte Polleit für die Vertretung des Libertarismus und der österreichischen Schule an die Uni geholt (wir berichteten). In seinen Vorlesung indoktriniere Polleit “kein bisschen”, so Leschke.
Julian, der BWL studiert, sieht das ähnlich: „Es ist schon sehr ironisch, dass ein SDS, der sich als marxistisch-leninistisch bezeichnet und sich somit selbst antidemokratisch positioniert und Umverteilung als Heilmittel sieht, meint, den Moralapostel spielen zu müssen.“ Henriette, Studentin der Theater- und Medienwissenschaften, dagegen: „Wir sind da, um ein Zeichen gegen neoliberale und antidemokratische Strukturen zu setzen. Die Uni plädiert auf eine apolitische Haltung und das ist eine Scheinheiligkeit, mit der wir uns nicht assoziieren wollen.“ Julika, die Wirtschaftswissenschaften studiert, sagt: „Mein Gefühl war, dass da ganz viele Ideologien präsent sind.“ Die Kritik an der Überpräsenz von Ideologien teilt auch Félice aus Bayreuth: “Ich bin da, um Gesicht zu zeigen.”
Die Vorlesung selbst startet um 14 Uhr c.t. mit leichter Verspätung auf Zoom. Polleit sagt, er wolle in der Veranstaltung liberale Denker vorstellen und damit die Reihe von Prof. Leschke fortführen. Er trägt ein schwarzes Sakko über dem weißen Hemd, eine eckige Brille, die grauen Haare nach hinten gegelt. Die Teilnehmerzahl pendelt sich um die 35 ein.
Schon zu Beginn sagt er, das Buch “Liberalismus” von Ludwig von Mises aus dem Jahr 1927 sei “ein ganz wunderbar zu lesendes Buch. Sie werden merken, wie aktuell diese Ausführungen sind. Aber das müssen Sie dann letztlich auch selber entscheiden, wie Sie das bewerten.” Auch das sagt er. Den Liberalismus beschreibt er seinerseits als Mittel zum friedvollen und produktiven Miteinander in der Gesellschaft, das wohlstandsmehrend sei und auf der Freiheit des Einzelnen fuße.
Inhaltlich geht es im ersten Teil des zweitägigen Blocks vor allem um die österreichische Schule der Nationalökonomie. Aus seiner Begeisterung für Mises macht Polleit kein Geheimnis: “Meiner Meinung nach ist Ludwig von Mises der bedeutendste Denker in der ganzen Tradition der österreichischen Schule, der wirklich bahnbrechende Dinge hervorgebracht hat.” Diese Ansicht überrascht nicht weiter, wenn man bedenkt, dass Polleit Präsident und Gründer des Ludwig von Mises Institut Deutschland ist.
Auf seiner Website präsentiert sich das Institut als verantwortungsbewusst für die Gesellschaft. Um Fehlentwicklungen wie der Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenzutreten, sei es “dringlicher denn je geworden”, liberal-libertäre Lehren in der Tradition von Ludwig von Mises zu verbreiten. Das Ziel des Instituts sei deshalb, “regelmäßig Lehr- und Diskussionsbeiträge von liberalen-libertären Denkern auf seiner Website zu veröffentlichen, um eine breite interessierte Öffentlichkeit zu erreichen.” In der bereits erwähnten Frontal21-Dokumentation wird das Mises-Institut dagegen als “marktradikale Lobbyorganisation” bezeichnet. Der Soziologe Andreas Kemper vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung sagt in der Doku, das Mises Institut verbreite die Idee, dass die Demokratie schädlich sei. Es stünde für Staatsabbau, Steuersenkungen und die Abschaffung von Sozialhilfe und fördere damit eine marktradikale Ideologie.
Im Verlauf der Vorlesung wird Polleit genauer auf die Ausführungen Hans-Hermann Hoppes eingehen, u.a. auf dessen Buch “Democracy – the God that failed”. Hoppe sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Mises Instituts. Auch die Idee des Ökonomen August von Hayeks, einen freien Markt für Geld anstatt dem staatlichen System zu schaffen, findet Polleit “sehr überzeugend”. Der nächste Ökonom in der Reihe, Murray Rothbard, sei laut ihm ebenfalls ein “äußerst produktiver, außergewöhnlicher Denker”, der viele Felder abgedeckt habe. Er habe aus dem Liberalismus den Libertarismus entwickelt, der eine Abwicklung aller Transaktionen über den Markt als ideal ansehe. Libertarismus sei also, “wo es sowas wieeinen Staat, wenn man ihn als Zwangsmonopolisten versteht, eben nicht mehr gibt”, so Polleit.
Zu den Vorwürfen, die auf der Kundgebung geäußert wurden, wollte er sich gegenüber dem “Nordbayerischen Kurier” nicht äußern. Die Pressestelle der Uni rechtfertigt Polleits Lehrauftrag gegenüber dem “Kurier” damit, dass es für die Ausbildung in der VWL wichtig sei, einen Vertreter der österreichischen Schule vor Ort zu haben. Die Kundgebung dagegen endet mit der von “Fridays for Future” bekannten Parole “One solution – Revolution”. Lisa Skender ist sich sicher, dass die Demo am 16. Dezember nicht die letzte Protestaktion gewesen sein wird.
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