Rassismus-(un)kritische Uni

ein Gastbeitrag von Betti Bayer sowie Marlene Tillack und Michel Disse der Kritischen Uni Bayreuth

Marlene

Es ist Montag, der 18. Oktober 2021. Die Kritische Uni Bayreuth hat einen Stand auf dem Campusabend. Eine Studentin im ersten Semester kommt auf Michel und Lisa von der Kritischen Uni zu und weist die beiden auf die Erstitüte der Fachschaft MPI (Mathe, Physik und Informatik) hin, die sie auf einer vorherigen Ersti-Veranstaltung der Fachschaft bekommen hat.  Auf dieser Tüte, die von der M* Apotheke gesponsert wurde, ist nicht nur der ganze Name der Apotheke abgedruckt, sondern zusätzlich rassistische Darstellungen von Menschen. Lisa und Michel sprechen die Verantwortlichen daraufhin direkt auf die Tüten an. Als erste Reaktion rechtfertigen sich diese damit, dass die Apotheke ja noch nicht umbenannt worden sei. Lisa und Michel erwidern, dass man die Tüten überkleben oder entsorgen hätte müssen. Die Fachschaftler*innen lenken daraufhin ein und versichern den beiden, dass sie keine weiteren Tüten mehr verteilen werden. Außerdem wurde Marlene zugetragen, dass besagte Tüten schon in den Jahren 2013-2017 von allen Fachschaften verteilt wurden und es in diesen Jahren nie schlechtes Feedback gegeben habe. Weil es nicht leicht sei, Sponsor*innen für Tüten zu finden, haben sich die Verantwortlichen der Erstiveranstaltung dieses Jahr dazu entschieden, die Restbestände aufzubrauchen und die Tüten zu verteilen. Als wir uns ein paar Tage später als Kritische Uni dafür entscheiden ein teilweise übermaltes Bild der Tüten auf unserem Instagram-Account zu posten, melden sich viele empörte Menschen bei uns per Direktnachricht und in den Kommentaren des Posts. Es wird eine Stellungnahme gefordert, die die Fachschaft daraufhin auch per Mail an Interessierte verschickt, jedoch bisher nicht veröffentlicht hat. [Anmerkung der Redaktion: Laut Fachschaft wurde das entsprechende Statement bereits am 22.10.2021 der Öffentlichkeit online und als Aushang zugänglich gemacht.] Im Gespräch mit Studierenden fällt auf, wie unterschiedlich die Reaktionen auf den Vorfall ausfallen: All der Empörung steht gleichzeitig auch viel Unverständnis für „unnötige Identitätsdebatten“ gegenüber. Deshalb ist es wichtig, noch einmal festzuhalten, warum der Gebrauch des M* Begriffs zutiefst rassistisch ist und die Namensgebung der M* Apotheke für Rassismus in der Stadt Bayreuth spricht. 

Betti

Rassismus wird greifbar, wenn wir ihn auf einer systemischen Ebene sehen: In einem Machtsystem, welches den Zugang zu Ressourcen und Privilegien in unserer Gesellschaft verteilt. Wir alle sind Teil dieses Machtsystems und bis heute ist dieses hierarchisch: Während Rassismus für Schwarze Menschen große Ungerechtigkeit birgt, profitiert die weiße Mehrheitsgesellschaft – auch ohne aktiv rassistisch zu sein oder in das Klischee eines Rassisten reinzupassen. Umso schwieriger fällt es deswegen, anzuerkennen, wo die Schieflage in unserem aktuellen Handeln liegt.  Sie zeigt sich nicht nur in unfairen Institutionen wie unserem Bildungssystem oder der Polizei, sondern kann schon in alltäglichen Ausdrucksweisen bestehen, denn auch Sprache schafft Realität. Sie kann Stereotype und Vorurteile konservieren und Gewalt weitertragen.  Das M* Wort ist verletzend, weil es seit jeher es eine abwertende Fremdbezeichnung weißer Dominanz ist. Vor allem während des Kolonialismus wurde der Begriff von weißen Europäer*innen als rassistische Bezeichnung schwarzer Sklav*innen benutzt, in einem Kontext der Ermordung, Vergewaltigung, Verschleppung und Entwürdigung. Wann auch immer das M* Wort fällt, reproduziert es also geschehenen Rassismus, anstatt Distanz von leidvoller Vergangenheit zu schaffen. Schwarze Selbstorganisationen wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. fordern deshalb schon lange die Streichung des M* Begriffs.  Es ist also fragwürdig, warum dieser Begriff immer noch von einer Bayreuther Apotheke, einer Veranstaltungslocation sowie einem Faschingsverein als Namen genutzt wird. Rechtfertigt das lange Bestehen des Namens die Benutzung? – Nein, denn gerade wenn mensch die M* Apotheke historisch betrachtet, ist kolonialistischer Rassismus nicht wegzuputzen: Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts gebaute Greifen-Apotheke wurde 1672 in M* Apotheke umbenannt, also in einem Zeitraum, in dem das Wort M* schon abwertend gebraucht wurde. Das Markgraftum Brandenburg – Bayreuth ließ sich zu dieser Zeit im heutigen Ghana nieder und profitierte selbst viel vom Handel mit versklavten Menschen im Kontext des Kolonialismus. Schwarze Menschen waren – im Gegensatz zum Eigennarrativ vieler M* Apotheken – bereits zu jener Zeit weniger Objekt der “Bewunderung” als viel mehr eine Ware.  Auch Prof. Ouma, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeographie am Geographischen Institut der Universität Bayreuth, der selbst in der Antirassismus-Arbeit tätig ist, sieht diese Diskrepanz und kritisiert die Geschichtstsverschleierung scharf: “Wer an Wissenschaft glaubt, wenn es um Medizin geht, der muss auch einem historischen wissenschaftlichen Diskurs offen gegenüberstehen.” Für ihn steht aber auch fest, die Debatte in Bayreuth auf die Apotheke zu reduzieren, wäre zu wenig. Ouma erhofft sich nicht nur eine Umbenennung der M* Apotheke wie beispielsweise in Wien, sondern auch mehr generelle Aufklärungsarbeit zur Kolonialgeschichte der Stadt Bayreuth: “Ich hoffe dass man mittelfristig zum Beispiel auch eine Ausstellung zu den vielfältigen kolonialhistorischen Verbindungen Bayreuths und deren Implikationen für die Gegenwart aufziehen kann.” Die Debatte um die Erstitüten zeigt: Diese Aufklärungsarbeit muss auch mehr in die Mitte der Studierenden getragen werden. 

Michel

Eine Sache vorweg: Bei aller gleich folgenden Kritik ist uns bewusst, dass sich dieser Text ebenfalls nur in eine Reihe von vielen Erklärungen zum Thema Rassismus von weißen für weiße einreiht. Die Reaktionen auf die Verteilung rassistischer Erstitüten auf dem Campus zeichnen zum großen Teil ein Bild, das bezeichnend für einige grundlegende Fehlvorstellungen der Thematik innerhalb einer weißen Gesellschaft ist. In der Stellungnahme der Fachschaft folgt nach kurzer Erklärung, die Tüten seien vor vielen Jahren von der betreffenden Apotheke bereitgestellt worden, die Aussage, die Fachschaft hätte keine Kommiliton*innen diskriminieren wollen. Zitat: “Bei den Kommiliton*innen, die sich dadurch verletzt fühlen, möchten wir uns ausdrücklich entschuldigen!”. Was auf den ersten Blick nach einer gut gemeinten Entschuldigung klingt, verfehlt den Kern der Sache. Es geht nicht darum, sich nur bei den Individuen zu entschuldigen, die sich potenziell von den Tüten verletzt gefühlt haben, denn eine BIPoC (Black, Indigenous and Person of Color), die nie etwas von den Tüten mitbekommen hat, ist genauso betroffen, wie diejenige, der die Diskriminierung direkt auffällt.
Rassismus richtet sich nicht nur gegen die, die ihn unmittelbar erfahren. Egal wie, wo und wann, Rassismus existiert immer gegenüber der gesamten diskriminierten Gruppe, nicht nur gegenüber einzelnen Individuen. Auch, dass die Entschuldigung davon spricht, dass sich die betroffenen eventuell “verletzt gefühlt haben”, ist problematisch. So wird der diskriminierten Gruppe das problematische Verhalten zugeschrieben – eine Verantwortungsumkehr nach dem Motto “Ich kann nichts dafür, wie du dich fühlst.” Das trifft so nicht zu. Zwar gehören zu Diskriminierung immer zwei Seiten, aber die Betroffenheit ist allgegenwärtig. Sie liegt zum Beispiel in allgemeiner sozialer Ausgrenzung und Ungleichbehandlung, darin, im Alltag mit andauernden Stereotypen konfrontiert zu werden und nicht zuletzt in einem Überleben von kolonialer, menschenverachtender Sprache und Darstellungen. Es ist nicht die Auffassung der uns gegenüberstehenden Personen, die unser Verhalten zu einem rassistischen macht, sondern der in diesem Verhalten liegende Inhalt an sich, der rassistisch ist.  Von der Fachschaft folgt ein großer Teil der Rechtfertigung, wie es zur Verteilung der Tüten kam. Rassismus bedarf keinerlei Erklärung! Es ist irrelevant, aufgrund welcher äußeren Umstände wir uns rassistisch verhalten haben, entscheidend ist nur, was wir tun, damit ein solches Verhalten nicht mehr vorkommt. In den weiteren Zeilen verweist die Fachschaft auf ein Gespräch, nachdem sie das Gefühl hatte ‘die Situation geklärt zu haben’. Die Personen, die in der Fachschaft standen, waren alles Unbetroffene… mit uns brauchte und konnte die Angelegenheit nicht geklärt werden. Weiterhin spricht die Fachschaft von Anfeindungen ihr gegenüber im Internet und schreibt dazu: “Für uns ist es belastend, in sozialen Netzwerken und persönlich offenem Hass von Unbekannten ausgesetzt zu sein.” Auch das ist eine häufige Reaktion auf Rassismus: eine Täter-Opfer-Umkehr. Die Tatsache, dass eine wirklich öffentlich einsehbare Stellungnahme noch immer nicht vorliegt bzw. auf der Internetseite nur sehr schwer zu finden ist, zeigt außerdem, dass sich die Fachschaft zu ihrem Fehler noch immer nicht bekennen möchte. Das vorläufige StuPa Protokoll lässt vermuten, dass es die Angelegenheit unter anderem oder vor allem deswegen besprochen hat, weil es von der Uni hierzu angewiesen wurde. Das Studierendenparlament als Vertretung der Studierenden trägt dieses Jahr besondere Verantwortung, da es sich bei dem aktuellen Vorsitzenden gleichzeitig um den Vizechef der Fachschaft MPI handelt. Gleichzeitig klingt es so, als hätte die Universitätsleitung durch Anweisung des StuPas versucht, die Problematik auf die Studierenden abzuwälzen, statt zu den Vorfällen selbst Stellung zu beziehen. Natürlich ist es so, dass die Universität – entgegen der Auffassung der Fachschaft – Mitverantwortung für die Geschehnisse am Campus und für die Handlungen der Fachschaft trägt. Die Universität hat den Auftrag, auf dem gesamten Campus für diskriminierungsfreie Räume zu sorgen. Das StuPa als Vertretung aller Studierenden hat den gleichen Auftrag in Bezug auf die Studierendenschaft. Rassismus an der Uni bedeutet Rassismus von der Uni. Dabei muss allen klar sein, dass sich Rassismus nicht nur durch bewusste Erniedrigung ausdrückt. Es ist unsere unreflektierte Sozialisation, die uns glauben lässt, bestimmte Darstellungen seien ‘doch okay’ und gewisse Begrifflichkeiten ‘doch unproblematisch’. Auf unserem Campus liegt es auch ganz maßgeblich in der Verantwortung der universitären Institutionen, dafür zu sorgen, dass jede Person diese Sozialisation hinterfragt und aufbricht, um einen nachhaltig rassismusfreien Campus zu schaffen. 

Marlene

Uns ist bewusst, dass das StuPa und die Universitätsleitung nicht direkt für die Tüten verantwortlich sind, jedoch hätten wir uns gewünscht, dass sich beide Instanzen öffentlich positionieren, da es sich sich um Tüten handelte, die an Erstis der Universität Bayreuth verteilt wurden und das Studierendenparlament als Vertretung der Studierenden dieses Jahr besondere Verantwortung trägt, da es sich bei dem aktuellen Vorsitzenden des StuPas gleichzeitig um den Vizechef der Fachschaft MPI handelt. 

In der Mail-Signatur von Prof. Leible, dem Universitätspräsidenten steht: „Weltoffene Hochschulen gegen Fremdenfeindlichkeit”.

Prof. Ouma merkt dazu Folgendes an: „Die Uni-Leitung verklausuliert sich ja schon länger über die Initiative ‘Weltoffene Hochschule’ zum Thema Rassismus, aber die Initiative erscheint mir rückblickend als eher zahnlos und begrifflich am Thema vorbeischmierend.” 

Weiter schreibt er Betti per Mail: „Die Uni-Leitung selbst hat verstärkt das Thema Rassismus aufgegriffen. Lanciert wird dies durch eine neue Anti-Diskriminierungslinie, eine Arbeitsgruppe zum Thema Rassismus und einen Roundtable Anti-Rassismus, der versucht, eine Anlaufstelle für als Opfer Betroffene zu sein, aber auch zu einer Uni-weiten Verhandlung des Themas anregen und ,institutional change’ ermöglichen möchte. Dies sind alles Dinge, die in der letzten Zeit angeschoben wurden. Die Hochschulleitung unterstützt dies einigermaßen. Das ist gut. Gleichzeitig sehe ich noch stärker die Notwendigkeit von Verantwortlichen an zentralen öffentlichkeitswirksamen Stellen der Uni, sich zu positionieren und in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken. Das ist natürlich auch für viele Verantwortliche ein Lernprozess, die Expertise, die dieses Lernen ermöglicht, ist aber mittlerweile auch in Deutschland breit vorhanden und jede*r kann sich adäquat zum Thema informieren (z.B. Tupoka Ogette’s Exit Racism).”

Wie sieht nun unser Fazit aus? Die Erstitüten sind nur ein Symptom eines deutlichen Missstands an der Uni Bayreuth. Es fehlt nicht nur an Interesse einiger Student*innen, sich überhaupt mit Rassismus auseinanderzusetzen, sondern auch immer noch eine öffentliche Positionierung der Unileitung und des StuPas (ein öffentliches Sitzungsprotokoll ist nicht genug!) wenn es zu einem rassistischen Vorfall kommt.

Der Artikel soll nicht nur zeigen, in welchen Formen uns Rassismus begegnet, sondern vor Allem, dass Rassismus niemals geduldet werden darf.

Wir leben in einem rassistischen System und sollten unser Verhalten deswegen unbedingt täglich reflektieren. Dazu gehört eine Kultur, in der man sich Fehler eingesteht, sich angemessen entschuldigt und die selben Fehler am besten nicht zweimal macht – insbesondere an einer Universität!

Betti Bayer
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