Kiez-Kolumne Nr. 2: (schöne) Neue Heimat?

Text von Lukas Büttner, Fotostrecke von Sade Kinner


„Mir sän Königsallee, Neue Heimat is da drüben!“ – `Halt Zonengrenze- Wir verlassen nun das monotone, gesittete wagnerianische Bayreuth.´ Ich fühle mich an die Bilder vom geteilten Berlin aus dem Geschichtsunterricht erinnert, als mir meine Ur-Bayreuther Nachbarn in dezentem Hochmut zu verstehen geben, dass unser Haus wohl (Gott sei Dank) nicht zur Neuen Heimat gehören würde. Es gibt hier also durchaus Abgrenzungspotenzial. Die Neue Heimat scheint also nicht gerade der Bayreuther:innen liebstes Kind zu sein. Oder vielleicht doch?

Verlässt man die Königsallee mit Ihren gründerzeitlichen Stuck-Juwelen in Richtung Bayernring, Frankenstraße, evangelische Nikodemuskirche und Co. merkt man recht schnell, dass man das `königliche´ hinter sich gelassen hat. Vielmehr wird man von einem Hauch der 1950er und 60 Jahre empfangen. Fein säuberlich geschnittene Hecken, kurz getrimmter Rasen und Wohnblöcke der eher unschönen Sorte flankieren die einladend breiten und dennoch chronisch leeren Bürgersteige. Ich gebe also zu, die Neue Heimat präsentiert sich mir nicht gerade als ein Ort des sprudelnden Lebens. Man spricht auch gern vom sozialen Brennpunkt zwischen Bahnschiene und Bungalowsiedlung. Aber was, wenn nicht alles nur triste Fassade ist? Wer verbirgt sich eigentlich hinter diesen klar strukturierten Gemäuern?  

Gebaut wurde die Neue Heimat in den Jahren als Bayreuth aus allen Nähten platze. Das Wirtschaftswunder hilft beim Neuanfang, vergessen soll das Alte sein! Architektur ist nie einfach nur die reine Disziplin mit dem Ziel Wohnraum zu schaffen, in den Formen und Linien unserer Gebäude verbirgt sich immer auch ein Ausdruck unseres Zeitgefühls. An der Neuen Heimat erkennt man diesen Neuanfang schon allein an den kargen, symmetrischen Fassaden. Simpel soll das neue Viertel sein! Nun ergibt das auf den ersten Blick oberflächlich und langweilig anmutende Erscheinungsbild der Neuen Heimat plötzlich Sinn. Die architektonische Langeweile der Neuen Heimat ist vielmehr Intention als städtebauliches Versagen. Die heimatvertriebenen und kriegstraumatisierten (Neu-) Bayreuther:innen der 50er Jahre fanden in der Neuen Heimat genau das, wonach sie sich sehnten. -Einen Ort der Ruhe, die Familienidylle der Arbeiterschaft ohne große Attraktionen, dafür aber mit annehmbaren Mietpreisen und einer praktikablen, autogerechten Infrastruktur.

Dieses Konzept des günstigen, einfachen Wohnens hat sich jedenfalls bewährt. In den rund 1000 Wohnungen des gewerkschaftseigenen Wohnungsbauunternehmens namens `Neue Heimat´ fanden auch viele Osteuropäische Spätaussiedler:innen und südeuropäische „Gastarbeiter:innen“ ein neues zu Hause. Heutzutage verbirgt sich hinter den Fassaden an Frankenstraße und Bayernring zumeist ein kulturell und sozio-demographischer Mix unterschiedlichster Bewohner:innen mit zumeist überaus spannenden Geschichten. Die Neue Heimat bleibt sich also treu. Man ist genügsam und strebt nach dem kleinen Glück, anstatt den großen Sprung zu wagen. Hier ist Schickimicki seit jeher fehl am Platz.

Auf alteingesessene, den Wagnerklängen frönende Bayreuther Damen und Herren mag das Leben in der Nachkriegssiedlung vielleicht zu asketisch wirken, Studenten ist es unter Umständen nicht inspirativ genug und jungen bürgerlichen Familien könnte es in den kleinen Wohnungen heute schnell zu eng werden. Und dennoch gibt es in der Neuen Heimat auch Erfolgsprojekte. `Jubilate´, ein Sonntag der Freude ist es im Jahr 2015 gewesen, als die evangelische Nikodemusgemeinde ihren offenen Jugendtreff `FLUX´ in der stillgelegten Sparkassenfiliale eröffnen konnte. Hier und im `Kids-Treff´ finden Kinder und Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen einen Ort der Geborgenheit aus dem sie idealerweise erhobenen Hauptes ins Leben zurückkehren können. Getragen durch ein respektvolles, empathisches Miteinander gelingt in der Neuen Heimat meist die so oft ersehnte und leider auch viel zu oft verfehlte friedliche Ko-Existenz im Plattenbauviertel. Allen voran findet man hier das, was man in den allermeisten deutschen Großstädten vergeblich sucht: `Ein erschwingliches zu Haus´.


Gut zu wissen: Der Name `Neue Heimat´ stammt von einem großen gewerkschaftseigenen Wohnungsbauunternehmen, welches seine Ursprünge in der Zeit des Nationalsozialismus hat.

Wird bevölkert von: Rentner:innen, Menschen mit Migrationshintergrund, sozial schwächeren Familien, aber auch alteingesessenen Bayreuther:innen, eher weniger aber natürlich teils auch von Studierenden.

Place to be: Der Jugendtreff `FLUX´ der evangelischen Nikodemusgemeinde in der ehemaligen Sparkassenfiliale.

Ausbaufähig: Einkaufsmöglichkeiten sowie einladende Orte und Stadtplätze zum Verweilen.

Die Jet-Tankstelle markiert den Beginn des Stadtteils von der
Innenstadt kommend.
In der neuen Heimat stellen Menschen mit serbischer, kroatischer
und russischer Migrationsgeschichte einen großen Teil der Bevölkerung
dar, was sich auch an zahlreichen Flaggen zeigt.
Neben meist vierstöckigen Wohnblocks stehen auch einige Hochhäuser
in der neuen Heimat.
Im „Flux“, dem Jugendzentrum, finden junge Menschen zwischen
zwölf und 28 Jahren eine Anlaufstelle zum Freunde treffen,
Austausch und zur Beratung. Auf Vertrauensbasis läuft es häufig
auch in der Kaffeeküche, wo auch mal etwas gegen einen Vermerk
erst später bezahlt werden darf.
Neben Tischtennis, Billard und Kicker, können die Jugendlichen
sich im „Flux“ auch am Dart Pfeile werfen versuchen.
Schon die Kleinsten laufen hier allein und unbeaufsichtigt durch
die Straßen und suchen sich das ein oder andere Mal den Weg zum
Süßigkeitenautomaten.
„Kiwi“ heißt der von der Kirche betriebene Abenteuerspielplatz,
in dem Kinder von fünf bis 12 Jahren betreut werden.
Die Kinder können hier Punkte, die sie für gutes Verhalten erhalten,
gegen Material eintauschen, um gemeinsam Hütten zu bauen
und sich kreativ auszutoben.
Außerdem können die Kinder zahlreiche Fahrzeuge und Spielzeuge
nutzen, die vor allem über Spenden gesammelt wurden.
Die neue Heimat bereits verlassend, kann man nochmals auf die
mittlerweile so vertraute Mischung aus Grün und Sozialbau zurückblicken,
ehe man wieder an der Königsallee samt Tankstelle das
Viertel verlässt.