Egal ob inbrünstig oder beschämt, als Gruppenevent oder alleine daheim, zum Lachen oder zum Mitfiebern – wir alle lieben Trash-TV. Irgendwie. Vier Tipps für den unvergesslichen Fernsehabend.
Zum Thema „Jugendstil“ gehört natürlich auch das, was unsere Generation so auszeichnet. Und die Generation RTL zeichnet sich unter anderem durch Trash-TV aus. Unzählige Varianten von Datingshows und Castings zeigen Sternchen, die unbedingt die ganz großen Stars werden wollen und dabei von Zuschauern vor den heimischen Screens angefeuert werden. Es gibt kaum jemanden, der noch nie in ein Trash-Format reingeschaut hätte – auch, wenn viele das nicht zugeben wollen. Vier Redakteurinnen und Redakteure stellen in dieser Ausgabe ihre Lieblingsformate vor und wünschen viel Spaß beim nächsten Trash-Abend.
1. Püppis harter Weg ins echte Leben – „Hilf ihr!“
Von Raphael Guba
„Du Pädophiler, ich hab dir gesagt, du sollst dich hier nicht wieder blicken lassen!“ Ein Cornetto-Nuss bohrt sich tief in das rechte Auge von Püppi. Püppi kreischt auf, weint, weiß nicht wie ihr geschieht. „Das arme Kind!“, schreien Mama Steffi und ich im Chor. Ich bin ebenso empört wie verletzt. Püppis Mutter tut sich schwer, ihre Kleine wieder zu beruhigen. Vor einem Moment bereits, musste sie schon einmal Spott und Häme ertragen. Ich leide. Die wohlgenährte Eisverkäuferin lässt nicht von der Kleinen ab und nimmt von ihrem Platzrecht Gebrauch, sofern man bei einer Kühlbox auf einer Moabiter Straße von einem Platz sprechen kann. Zum Glück eilt eine Expertin aus dem Off zur Hilfe, denn wie soll ich sonst verstehen, dass Rüdiger alias Püppi nicht pädophil ist. Ich für meinen Teil will das nicht recht glauben, Rüdiger trägt doch ein Prinzessinnenkleid von T€DI und quiekt mit scheußlich schriller Stimme. Eins sei vorweggenommen, der Tag dieses Menschen kann nur noch schlechter werden.
Einzig die Gewissheit, dass jedes Problem bei „Hilf mir! Jung, pleite und verzweifelt“ innerhalb von 20 Minuten gelöst werden kann, beruhigt mich. Rüdiger ist nach sechs Wochen geheilt. An einer Vielzahl deutscher Lebenswelten konnte ich bereits teilhaben, etwa an der des dünnen Jungen, welcher immerzu seine Freundin Ash mästet oder die liebestolle Cougar Michaela. Mmm, richtig geil! Ich habe sie alle liebgewonnen – zu lieb. So viele Lebenslinien von Fetischist*innen, Prostituierten und gemobbten Jugendlichen, diese didaktisch aufbereitet von Berlin-Tag-und-Nacht-Stars, Anwält*innen und Sozialarbeiter*innen. Dass hierbei Stereotype befeuert und vor allem Minderheiten herrlich grotesk dargestellt werden, ist nebensächlich. Der Grundplot ist immer derselbe: Menschen haben Probleme, verlassen den „rechten“ Pfad vorhersehbar und sind letztlich verzweifelt. Aus den von anderen gemachten Fehlern habe ich für mich viel gelernt. Mein Fazit: Prädikat sehr gut, pädagogisch wertvoll!
2. Der schöne Schein
Von Helena Schäfer
Dieses Jahr wollte ich wirklich nicht gucken. Das feministische Gewissen hatte endlich gesiegt über meine Vorliebe für die Model-Castingshow auf Pro7. Doch dann kam eine Quarantäneverordnung vom Gesundheitsamt und ohne große Umschweife wurde Heidi Klum zur fröhlich-kreischenden Begleiterin in der Isolation. Welch ein Glück im Unglück – hätte ich doch sonst diese wunderbare Staffel verpasst!
Anders als in früheren Jahren gab es dieses Mal keine Vorgaben für Körpergröße, Brust- oder Hüftumfang oder maximale Tattoos. Das Konzept blieb gleich: Eine junge Frau will Model werden (oder Influencerin) und muss sich dafür gegen ihre Konkurrentinnen in Fotoshootings, auf dem Laufsteg und bei Castings durchsetzen. Heidi Klum darf zu allem ihren Senf dazugeben und sich selbst in seltsamen Outfits, vorzugsweise in Over-Knee-Stiefeln und irgendwas mit Leder oder Flausch, präsentieren. Dass die Staffel wegen Corona nicht in LA, sondern nur in Berlin stattfinden konnte, tat der Sache gut. Reiselust und Luxus wurden in den Hintergrund gedrängt und es ging mehr um die Sache selbst. Also um das Drama. Doch selbst das pendelte sich im Laufe der Staffel auf historischem Tiefstand ein, alle hatten sich liebgewonnen – aber kein Wunder, wenn man gemeinsam einen Berliner Corona-Winter durchsteht.
Das Beste an dieser Staffel aber waren die Teilnehmerinnen: Zum Beispiel Soulin, aus Syrien geflüchtet, schön, klug und talentiert, die viele ein bisschen unsympathisch fanden, nur weil sie um ihr eigenes Können wusste. Oder Dascha, die sich überdreht und doch mit ernster Miene für „Body Positivity“ einsetzte. Oder die sympathische Maria, die als erste Gehörlose teilnahm. Und natürlich Alex, die als erstes Transmodell die Show gewann. So erreichte GNTM endlich die „Diversity“, die die Show schon seit Jahren für sich beanspruchen will. Intersektionalität, also sich überlappende Diskriminierungsformen, war zwar noch nicht sichtbar, wie direkt auf ZEIT Online bemängelt wurde, aber so bleibt Luft nach oben für die nächsten Jahre. Wer sich doch über mangelnde Tiefe empören möchte, dem sei gesagt, dass es sich um eine Model-Show handelt! Es geht ums Aussehen, um den schönen Schein! Das ist der ganze Sinn der Sache.
Nur das Finale war dann traditionsgemäß furchtbar: Nach der Live-Hochzeit, bei der eine Teilnehmerin von Heidi neben einem riesigen Plüsch-Nagetier als Trauzeuge verheiratet wurde (2019), war die Show an Peinlichkeit nicht mehr zu übertreffen. Trotzdem wurde es unangenehm. Mit den Familien der Teilnehmerinnen sprach sie über eine gigantische Zoom-Wand. Die Finalistinnen liefen irgendwie hin und her, es war jetzt eigentlich egal. Dann nahm Tokio Hotel ein Musikvideo auf, damit Heidi ihren Mann knutschen konnte. Das bekannte Gefühl des GNTM-Finale-Fremdschämens war wieder da und macht es mir zum Glück leicht, dieser Show jetzt aber wirklich endlich abzuschwören.
3. „Ey, voll die Bombe, Alter!“
Von Antje Behm
Mir wurden „heiße Flirts & wahre Liebe“ versprochen. Ich muss zugeben, ich wurde nicht enttäuscht. Als mich im März eine Schulfreundin für einige Tage besuchen kam, lag unsere traumhafte Festspiel- und Universitätsstadt noch tief im Lockdown. Was also tun, außer zu viel essen und spazieren gehen? Nicht verzagen, TV Now hat die Lösung.
(Tipp am Rande: wenn man nicht plant, dauerhaft im Trash-TV Dschungel zu versumpfen, kann man bei TV Now ein 30-tägiges Probeabo abschließen und fünf Minuten später wieder kündigen. Da zahlt man keinen Cent und kann trotzdem einen Monat lang mit den Stars und Sternchen mitfiebern.)
Von der heimischen Couch aus reisen wir also mit einer Flasche Wein auf Love Island und fiebern mit, wie es „bei heißen Challenges und romantischen Dates“ auf Tuchfühlung geht. Das Prinzip der Show wirkt zwar einfach, ist aber bei genauerem Hinsehen ziemlich anspruchsvoll. Mal sehen, ob es mir gelingt, die komplexen Sachverhalte zu erklären.
Also: Eine Gruppe Singles fliegt auf eine Insel und muss sich in der dortigen Villa bei Paarungszeremonien (jap, heißt echt so) vercoupeln (Anglizismen sind Pflicht). Regelmäßig macht aber eine Bombe (= Neuankömmling = *puff*) das große Liebesglück zunichte. Wer bei einer Zeremonie leer ausgeht muss nach Hause fahren und hat seine Chance, 50.000 Euro als Siegerpaar zu gewinnen, verspielt.
Die Kandidaten sollen dabei von der Außenwelt abgeschnitten sein und erhalten nur in der Villa Handys von RTL, die jedes Mal ein lautes *PING* von sich geben, wenn neue Anweisungen gegeben oder Personen angekündigt werden. Dieses *PING* ist dann von einem noch lauterem, mehrstimmigen „NAAAAAAACHRICHT“ gefolgt und die SMS wird für die Gruppe vorgelesen. Die Lesefähigkeit ist zum Teil auf Grundschulniveau, aber was soll ich sagen? … Spannung pur.
Der Dresscode der letzten Staffel ist leicht zu merken, er lautete nämlich „so wenig wie möglich“. Während die Jungs regelmäßig miteinander pumpen und dabei überall braun werden, außer unter dem Mikrofon, tragen die Mädels Bikinis in Zahnseiden-Stärke und High Heels dazu. Richtig krass, ey.
Um den Spaß für die daheimgebliebenen Zuschauer zu steigern, gibt es auch noch eine kostenlose App mit Votings, Wochenquiz (ich hatte bisher immer alle Punkte), Umfragen zu den aktuellen Islandern und Live-Chat während der Ausstrahlung.
Und hach, das große Finale mit den glücklichen Couples. Ich möchte nicht spoilern, aber bei so viel Kitsch musste ich dann doch fast ein paar Tränchen verdrücken.
4. Die Bibel – ein remake
Von Hanno Rehlinger
Adam und Eva steht, in unserer kollektiven Erinnerung, vor allem für zwei Dinge: die Scham des Menschen und die Sünde der Frau. Die fünfte Staffel der RTL-Serie „Adam sucht Eva“ hat beide diese Erinnerungen umgedreht – bzw. Gina Lisa hat sie umgedreht, denn sie ist, ohne Zweifel, die Trägerin der Staffel. Dem ersten Fluch entledigt sich das RTL ganz einfach durchs Format: Alle sind nackt! Wir haben nichts, für das wir uns schämen müssen, schon gar nicht unsere Körper!
Schnell wird auch klar: Wenn es um Sünde geht, hat man sich an die Männer zu halten. Spätestens, nachdem Gina Lisa von ihrer Vergewaltigung erzählt, zittern einem die Lider. Eine mutige Frau. Und unmittelbar dämmerts einem; wofür man sich als Menschheit wirklich schämen muss – wofür als Mann.
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