Landschaftliche Idylle versus unterkühlte Aerosolfahrt – Zwei Plädoyers zum Reisen mit der Deutschen Bahn, die unterschiedlicher nicht sein könnten
Von Lena Fiala und Lukas Büttner
Pro:
Zugfahren ist schon etwas Schönes. Wie sagte meine Freundin neulich? „Was ich an Zugfahrten mag, ist, dass man da einfach mal Zeit hat. Egal, ob man sich dafür entscheidet, zu arbeiten, zu lesen, einen Podcast zu hören oder einfach nur aus dem Fenster zu schauen: für diese Paar Stunden ist man da und kann nicht weg.“
So weit, so gut. Ich fahre heute zum ersten Mal 1. Klasse im ICE von Berlin nach Nürnberg. Hat nämlich „nur“ 10 € Aufpreis gekostet. Und die Sitzplatzreservierung gleich dazu. Und da sitze ich jetzt, auf meinem Sitz. Mit extra großem Tisch, extra viel Beinfreiheit und extra wenig Geräuschkulisse – im Ruhebereich. Ganz schön komfortabel.
Zwar habe ich mich erst einmal blamiert, weil ich scheinbar in Wagen Nummer 12 statt in Wagen Nummer 14 sitze, auch wenn der Platz 63 der Richtige ist. Stolz habe ich auf meinem Smartphone den „Comfort Check In“ durchgeführt – der Kontrolleur aber meint: „Bei mir leider nicht.“ Das sei jedoch gar kein Problem, er werde mich einfach neu einchecken. Nur blöd, dass ich 30 Minuten zuvor einen Herrn mittleren Alters mit dem Hinweis: „Entschuldigung, ich hab reserviert. Platz 63.“ des Platzes verwiesen hatte – „Na dann setzen Sie sich da hin, dann setz ich mich wohl woanders hin.“, entgegnete dieser mit leicht angesäuertem Unterton.
Ansonsten schwelge ich regelrecht in Begeisterung, die großen Fenster, was man da alles sieht… und überhaupt, warum fahren eigentlich nicht alle Leute mit der Bahn? Es ist so praktisch, es ist quasi ein riesiges Haus, man kann darin sitzen, arbeiten, essen (auch wenn es sich in diesen Zeiten höchst grenzwertig anfühlt, die FFP2-Maske dafür abzunehmen), schlafen und währenddessen ganz nebenbei von A nach B gelangen. Und das oft viel schneller als mit dem Auto.
„Trotzdem irgendwie dekadent, was der Mensch sich alles baut, um komfortabel durch die Gegend zu reisen.“, denke ich da. (Warum mir dieser Gedanke im Zug und nicht im Flugzeug kommt, weiß ich leider auch nicht). Woher kommt diese Euphorie? Bin ich zu wenig unterwegs gewesen, seit die Pandemie begonnen hat? – Ich fahre Zug: ein Erlebnis.
Dabei werde ich den Gedanken nicht los, dass man bei so einer Bahnfahrt durch die Republik immer auch etwas über Deutschland lernt. Das ist zum Beispiel der Mann in meinem Abteil, der trotz Ruhebereich noch schnell seinen Freund Walter anruft, weil besagter Walter heute Geburtstag hat: „Ja, und feier fei noch schön heute. So gut es eben geht.“. Nicht zu vergessen außerdem der Zugführer, der bei der englischen Version seiner Durchsage konsequent „se“ statt „the“ sagt. Außerdem lerne ich die wichtigen Knotenpunkte des Landes kennen: neben Erfurt, Halle (Saale) und Bamberg (!) scheint auch Bitterfeld dazu zu zählen, obwohl der Bahnhof dort weniger Gleise vorzuweisen hat als der in Bayreuth.
Die Landschaft zieht an mir vorbei, in der Ferne sehe ich einen Schleier am Himmel – dort drüben regnet es schon, bei mir nicht. Mir kann das Wetter nichts anhaben, ich rase einfach mitten hindurch. Flüsse, Seen, Bäche. Und diese Farben! Blauer Himmel, froschgrüne Wiesen (der Frühling!), knallgelbe Rapsfelder – ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Und während ich noch aus dem Fenster schaue, ertönt es über mir: „In a few minutes we will reach our next stop, Nuremberg. Please don´t forget your luggage. We wish you a pleasant evening. Sank you for choosing Deutsche Bahn today.”
Contra:
„Wintertraum!“ mit diesem Gedanken bewundere ich beim morgendlichen Blick aus dem Fenster die traumhaft schöne Winterlandschaft, die sich vor meinen Augen auf Wald und Flur ausbreitet. Es ist Sonntag, der 14. Februar 2021 und die wohl kälteste Nacht des Winters geht gerade zu Ende. Die ersten Sonnenstrahlen streichen zart über die tief verschneiten Hügel, während das Thermometer zapfige, fast schon rekordverdächtige -21 Grad Celsius anzeigt. Bis jetzt ist es also ein Sonntagmorgen, wie man sich keinen besseren wünschen könnte… „Jetzt aber genug geträumt!“, denke ich – mein Zug nach Berlin fährt in einer knappen Stunde.
Mit Sack und Pack stehe ich nun also bei klirrender Kälte am Bahnhof meiner doch sehr provinziellen Heimatstadt im nördlichen Unterfranken. An den Anzeigetafeln ist zu lesen, der Regionalexpress nach Erfurt Hauptbahnhof habe zehn Minuten Verspätung, die Deutsche Bahn bitte dafür um Entschuldigung. „Naja- kann ja mal passieren“ denke ich, es ist schließlich auch ungewöhnlich kalt. Ganz wie angekündigt rollt die rote Bimmel-Bahn exakt 10 Minuten später als geplant im Bahnhof ein. Das wurde auch Zeit, denn langsam wird es selbst unter der Maske frisch um Mund und Nase. Nachdem ich mein schwergewichtiges Gepäck die drei schmalen Stufen hinauf in den Wagon gehievt habe, wundere ich mich bereits über den kaum wahrnehmbaren Temperaturunterschied zwischen dem Zuginneren und der Außenluft.
Wenige Minuten später kommt die Schaffnerin, deren Mund-Nasen Bedeckung gerade einmal das Kinn bedeckt und bittet um meinen Fahrschein. Die Dame meint, ich solle doch in das zweite Zugabteil wechseln, denn in diesem Wagen sei die Heizung ausgefallen. „Nun ja, bei schätzungsweise -15 Grad wäre eine Heizung durchaus angenehm“ denke ich und beschließe in das andere Abteil zu wechseln. Kaum im wohlig warm temperierten zweiten Zugabteil angekommen, fällt mir bereits ein Mitreisender ohne Mund-Nasen-Bedeckung auf. Insgesamt sitzen an diesem Sonntag im Februar inmitten der zweiten Corona Welle, im absoluten Hotspot-Bundesland Thüringen, fünf augenscheinliche Maskenverweigerer in diesem wunderbar warmen Zugabteil. „Was nun?“, frage ich mich. „Entweder bleibe ich hier und geselle mich zu einer Handvoll rücksichtsloser Querulanten oder ich gehe wieder zurück in das ungeheizte Zugabteil, in dem außer mir niemand saß.“ Ich entscheide mich für Letzteres, denn eine Erkältung dürfte wohl doch angenehmer sein, als mit einem Übermaß an potenziellen Corona-Aerosolen in Berührung zu kommen.
Etwa eine halbe Stunde nach Beginn meiner Reise stört plötzlich heftiges Getöse zweier diskutierender Damen die Ruhe in meinem kalten, friedlichen Zugabteil. „Na bravo, auf Bissigkeiten im Kühlwagen hab´ ich echt gar keinen Bock“, fluche ich und schon öffnet sich die Tür. Mit mürrischem Blick betritt die Schaffnerin, gefolgt von einer wild gestikulierenden und laut lamentierenden Mitfahrenden die Szene. „Halten Sie wenigstens Abstand, wenn Sie die Maske schon nicht ordnungsgemäß aufhaben“ faucht die Dame zur Schaffnerin – „dann setzen Sie sich doch einfach hin“ donnert diese zurück, ohne jegliches Bemühen die Alltagsmaske über Mund und Nase zu rücken. Nach kurzer Stille schlägt mir der ganze Unmut der Frau entgegen, welche sich als Mitarbeitende des Berliner Gesundheitsamtes zu erkennen gibt. Wie man nur so egoistisch und stur sein könne wie die maskenverweigernden Mitfahrer (es waren bis auf die Schaffnerin lediglich Männer), fragt sie mich immer noch sehr in Rage und ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. „Es ist einfach eine unfassbare Sauerei“ gebe ich Ihr bestätigend zurück. „Naja“, meint die Dame, „es ist zwar wirklich traurig, aber am Ende sind du Guten doch immer nur die Dummen“. Ich nicke zustimmend und schäme mich gleichzeitig völlig unbegründeter Weise, dass ich (wie auch Sie selbst) Ihrer Ansicht nach zu den „Guten – Dummen“ gehöre. In dieser Situation -wie wir uns im eiskalten Wagon frierend an die AHA-Regeln halten- hat sie dennoch in gewissem Sinne recht.
Inmitten des Sibirien-ähnelnden Thüringer Waldes schwindet meine Reise-Euphorie trotz traumhafter Landschaften nun langsam aber sicher dahin. Im Klartext: Ich friere wie ein junger Hund und würde am liebsten in das warme Abteil gehen und ein ordentliches Donnerwetter loslassen! Denn ganz im Ernst: Während dieser Fahrt fühle ich mich, wie auch die Mitarbeitende des Gesundheitsamtes, ordentlich verarscht. Schließlich kostet mein Zugticket genauso viel wie das derer, die ohne Maske im warmen Wagon sitzen, während ich mit FFP2-Maske im kalten Zugabteil friere. Ich verwehre mich dem Gedanken, wonach man als rücksichtsvoll handelnder Mensch schnell als „Dummer“ dastehen würde. Doch in dieser Situation fühle ich mich von einer Handvoll Egoisten ausgeschlossen und an den Rand gedrängt.
Nachdem mein ICE Anschlusszug von Erfurt nach Berlin mit einer 30-minütigen Verspätung die Thüringische Landeshauptstadt schließlich verlässt, schwöre ich schließlich vollkommen durchgefroren und verärgert, dass ich mir zu Weihnachten 2021 vom Christkind ein Auto wünsche. So weit hat sie es also gebracht, die vielfach zu Recht geschundene Deutsche Bahn.
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