Die Frankfurter Schule ist spätestens seit dem zweiten Weltkrieg die Hochburg marxistischen Denkens in Deutschland. Von Adorno und Horkheimer, über Habermas bis zu Honneth hat sie die Ideologiekritik vorangetrieben und versucht, Grenzen zu erkennen und zu hinterfragen. Wir kennen uns mit Marx nicht wirklich aus und haben Adorno gerade mal zur Kenntnis genommen, aber die Frankfurter Schule ist uns doch ein Begriff, dem auf den Grund zu gehen uns gelockt hat. Wir sind also nach Frankfurt gefahren und haben sie uns angeschaut. Was wir fanden, war ein Denkmal.
Hanno Rehlinger
„Freiburg ist tot! Marburg ist tot! Frankfurt ist die letzte überlebende Schule!“ So erklärt es uns ein ehemaliger Student dieser Schule. Man müsse aber wissen, dass die Frankfurter nicht sind, was sie verkaufen: Von wegen alternativ und demokratisch. Elitär und hierarchisch seien das Institut für Sozialforschung genau wie das Cluster „normative orders“, an denen sich einige der klügsten Köpfe Deutschlands versammeln. Die Professoren hätten zurückgegelte Haare und locker geöffnete Hemdknöpfe.
Entsprechend ehrerbietig betreten wir den riesenhaften Campus. Das gewaltige IG-Farben Gebäude ragt über die Wiesen, wie eine mittelalterliche Festung, nur mit weniger Makeln. Unten rechts, vor dem Eingang, steht eine kleine Gedenktafel. Sie erinnert an das Zyklon B Gas, das die IG-Farben für die Nazis hergestellt hat.
Hinter dem Hauptbau dann der Theodor W. Adorno Platz. An uns vorbei laufen zwei Polizistinnen, auf dem Weg, einen Ladendieb festzunehmen, der – sich vielleicht einer ähnlichen Vorstellung hingebend wie ich – auf den Campus geflüchtet war. Eine Freundin von uns studiert hier politische Theorie. Sie erzählt von Reiner Forst – dem Oberhaupt der „normative orders“. Er trage immer einen Anzug, die beiden oberen Hemdknöpfe lässig offengelassen. Diese offenen Knöpfe sind ja ein echtes Phänomen. Sind am Ende sie das Sinnbild des revolutionären Denkens im 21. Jahrhundert? Oder spielen da ganz andere Fantasien eine Rolle?
Das „normative orders“ Gebäude weckt auf jeden Fall so einige: Groß, grau und kastenförmig steht es am Ostrand des Campus. Unter dem Schachbrettmuster aus viereckigen Fenstern steht, in silbernen Lettern geschrieben: NORMATIVE ORDNUNGEN. Ist das jetzt dialektisch oder invertiert? Ich frage lieber nicht. Man soll sich ja auch als Kritiker nicht allzu ernst nehmen.
Etwas weiter dann der Höhepunkt einer jeden Besichtigung. Dort steht, im Schatten des IG-Farben Hauses, Adornos Glaskasten. In dessen Zentrum, unberührbar gemacht, böse Zungen würden behaupten, heiliggesprochen: sein Schreibtisch. Darauf eine verblichene Kopie seiner „Dialektik der Aufklärung“ und ein Metronom. Der Glaskasten ist nicht zugänglich. Nur ab und zu wird einer Studierenden vielleicht die Ehre erwiesen, unbemerkt, durch eine Falltür, in das kleine Reich zu schlüpfen, um die Staubflusen behutsam von Theodors grüner Platte zu pusten. Man kann es sich vorstellen: Wie nachts der große Geist erscheint, leise die Messinglampe im Glaskasten entzündet und dann … mildlächelnd auf seine Universität blickt?
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