„Die AfD war damals nicht radikal“

Ein Gespräch mit VWL-Professor Martin Leschke über das Gerücht, er habe die AfD mitgegründet,  und die Verbindungen seines Lehrstuhls zum staatskritischen Ludwig-von-Mises-Institut.

Von Helena Schäfer und Jakob Pegels.

Herr Professor Leschke, wenn man Ihren Namen googelt, dann ist einer der ersten Vorschläge „Martin Leschke AfD“. Wie kommt es denn dazu?

Ich habe das erst vor ein paar Jahren gemerkt, ich google mich ja nicht dauernd selbst. Es gibt zwei Ausgangspunkte dafür, dass der Algorithmus diesen Zusammenhang herstellt. Zum einen findet man meinen Namen auf einer sogenannten Unterstützerliste der AfD. Das kam so: Ich war in einem E-Mail-Verteiler von Ökonomen zur Wirtschaftspolitik. Darin wurde Anfang der 2010er Jahre vor allem die Europolitik kritisch diskutiert. Einige Kollegen wollten, dass unsere Meinung mehr Gehör findet. Deshalb versuchten sie, Artikel an Zeitungen wie die Süddeutsche oder das Handelsblatt zu lancieren. Das hat Professor Bernd Lucke übernommen, der in Hamburg VWL lehrt. Als mit der Zeit das Interesse an den Artikeln abebbte, kam die Frage auf, ob wir als Gruppierung politisch tätig werden sollten. Einige haben sich letztlich unter der Führung von Bernd Lucke dafür entschieden. Den Namen „Alternative für Deutschland“ gab es noch nicht. Lucke hat damals gefragt, wer mitmachen will. Ich wollte nicht mitmachen, aber fand es okay, dass andere aktiv werden. Bernd Lucke und die anderen aus dem Kreis haben dann alle, die nicht ausdrücklich dagegen waren, implizit als Unterstützer aufgefasst. So tauchte mein Name auf dieser Liste auf.  

Auf der Liste stehen zum Beispiel auch Alexander Gauland und Beatrix von Storch, also Menschen aus der Politik. Wie kamen die dann auf die gleiche Liste?

Die Gruppierung bestand vorwiegend aus Wirtschaftspolitikprofessoren. Aber an solche Verteiler docken immer auch Leute aus der Politik an. Damals hat Lucke diesen Verteiler gepflegt und dann solche Leute reingelassen. Das habe ich als Abonnent des Verteilers gar nicht wahrgenommen.

Um welche Inhalte ging es genau in diesem Diskussionskreis?

Es ging vor allem um die Frage: Neigt das Konstrukt des Euro nicht dazu, dass sich einige Staaten immer mehr verschulden? Wir haben diagnostiziert: Wenn die Staaten keinen Risikoaufschlag beim Zins mehr bekommen, wie es auf dem freien Markt üblich wäre, werden sie einen starken Anreiz haben, sich immer mehr zu verschulden. Deshalb haben wir eine andere Governance-Struktur für Europa gefordert. So entstand die AfD, es war am Anfang eine Professorenpartei – oder Professorinnenpartei – ich weiß nicht, ob Frauen dabei waren.

Wie hat sich das dann entwickelt?

Ich habe das genau beobachtet, weil es ja aus unserem Kreis kam. Ich fand es interessant und erschreckend, wie hoch der Anreiz ist, Grenzen zu überschreiten, um mehr Stimmen zu bekommen. Bernd Lucke hat den Populismus „reingelassen“, die damaligen deutschen Republikaner und andere Gruppierungen. Das ist immer der Trade-Off, wenn man eine Partei anführt: Man will eine größere Basis, aber dafür lässt man Leute rein, mit denen man im Grunde inhaltlich nichts gemeinsam hat. Da sah ich, wie gefährlich es ist, selbst Parteipolitik zu machen, und dass man diesem Trade-Off unheimlich schnell erliegen kann. Lucke verließ, nachdem er 2015 den Vorsitz an Frauke Petry verlor, die AFD. Er wurde sozusagen „rechts überholt“.

Und was ist aus diesem Verteiler geworden? Gibt es den noch?

Nein. Der war damit weg. Mit der Parteigründung wurden die Diskussionen ja dann immer politischer. Ich will Fachzirkel, aber keine Politikzirkel.

Auf dieser Unterstützerliste, die man im Internet findet, stehen nur ungefähr 20 Namen, das sieht nicht so aus, als wäre das aus einem Verteiler übernommen, wo ja üblicherweise viel mehr Menschen drin sind.

Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich habe nur die implizite Zustimmung gegeben, dass ich nichts dagegen habe, wenn einige aus dem Kreis Politik betreiben. Es kann sein, dass alle anderen sich aktiv dagegengestellt haben und deshalb nicht mit draufstehen. Oder Lucke hat bewusst diese Auswahl getroffen. Ich kann es nicht sagen.

Gab es denn aus diesem Kreis Reaktionen darauf? Sie waren dann ja nicht der einzige, dessen Name da missbraucht wurde.

Ich habe das nie erforscht und – wie gesagt – erst einige Jahre später gesehen. Anschließend habe ich mich gefragt, ob ich meinen Namen streichen lassen sollte. Ich habe das aber verworfen, weil mir der Aufwand zu groß erschien. Möchte man bei Google einen automatischen Vorschlag löschen, ist der Aufwand hoch und die Erfolgsaussichten gering. Zudem dachte ich, diese ganze Sache sei jetzt so lange her, dass sie von selbst verschwindet. Aber Gerüchte halten sich oft länger, als man denkt.

Sie sprachen von zwei Ausgangspunkten für den Google-Algorithmus. Was ist der zweite?

Die zweite Sache war eine Wahlkampfveranstaltung der AfD in Bayreuth, vor der ich einen Fachvortrag gehalten habe. Das war auch in der Anfangszeit, also 2013. Die AfD vor Ort hat mich gefragt, ob ich einen Vortrag zur Euro-Politik halten möchte. Das war ja damals ihr vorrangiges Thema. Vorträge hatte ich schon bei anderen Parteien gehalten, also habe ich zugesagt. Nach diesem Vortrag hat Frauke Petry Wahlkampf gemacht. Die AfD hat allerdings nicht vorwiegend Frauke Petry in der Innenstadt plakatiert, sondern die ganze Innenstadt war mit mir plakatiert! Von außen sah es so aus, als wenn ich die AfD wäre. Das war natürlich nicht abgesprochen und das habe ich denen auch gesagt. Dieses zweckentfremdete Darstellen meiner Person, einmal mit dem Namen auf der Liste und einmal für diese Wahlkampfveranstaltung, das hat mich in die Ecke der AfD gedrängt. Aber ich bin weder in der Partei noch vertrete ich deren Ansichten. Ich habe sie auch nicht gegründet. Ich habe überhaupt nichts mit der AfD zu tun. Im Gegenteil: Ich bin aus Clubs ausgetreten, die von der AfD unterwandert wurden, wie zum Beispiel aus der Hayek-Gesellschaft.

Aber hätten Sie sich nicht vielleicht denken können, dass Sie benutzt werden? Es war ja offensichtlich eine Wahlkampfveranstaltung.

Ich hatte hier im Vorfeld ganz andere Erfahrungen gemacht, zum Beispiel habe ich ähnliche Vorträge bei Weißwurstfrühstücken bei der CSU gehalten oder habe ein Projekt mit der SPD gemacht. Nie wurde ich dabei missbraucht, nie! Es war vielleicht Naivität, auf jeden Fall habe ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass ich auf Plakaten erscheine.

Wir würden gerne noch mal auf die Inhalte der frühen AfD-Zeit zurückkommen. Diese Eurokritik schien vermischt zu sein mit libertärem Gedankengut, was an Ihrem Lehrstuhl ja auch verbreitet wird. Zum Beispiel durch den Honorarprofessor Thorsten Polleit, der an Ihrem Lehrstuhl tätig ist und das Ludwig-von-Mises-Institut leitet, eine libertäre und staatskritische Einrichtung. Wie stehen Sie zu solchen Inhalten?

Die Sache ist die: Ich liebe die Vielfalt. Ich selbst bin Ordoliberaler. Das heißt, dass ich eine liberale Strömung vertrete, die einen Ordnungsrahmen durch den Staat vorsieht. Thorsten Polleit vertritt die österreichische Schule, einen Zweig des Libertarismus, der auf Ludwig von Mises zurückgeht. Diese Strömung ist tatsächlich marktradikaler. Weil wir das hier noch nicht vertreten hatten, kam Herr Polleit zu uns. Dass ich das mit koordiniere, liegt daran, dass er ein alter Bekannter von mir ist. Wir haben zusammen die Politik der Europäischen Zentralbank kritisch begleitet und auch beide in Münster studiert. Auch Polleit ist übrigens nicht in der AfD. Zurück zu Ihrer Frage: Polleit haben wir genau für diesen Bereich geholt, Vertretung des Libertarismus und der Österreichischen Schule. Das macht er auch defensiv, er indoktriniert kein bisschen in seinen Veranstaltungen, sondern lässt Kritik ganz normal zu. Man muss seine Ansichten nicht unterstützen, um mit gutem Gelingen seine Veranstaltung zu absolvieren. Da achten wir sehr drauf.

Neben seiner leitenden Position beim Mises-Institut ist Herr Polleit auch Chefökonom bei Degussa Goldhandel, die auch Geschäfte mit der AfD machen.

Moment! Sie werden für diese Aussage keinen Beleg finden. Es gibt kein Statement von Degussa Gold, dass sie die AfD unterstützt haben. Der SPIEGEL und andere Journale haben Degussa Gold vorgeworfen, sie hätten in der Vergangenheit implizite Wahlkampfunterstützung durch Spenden gemacht. Ich bin dem mal nachgegangen, aber konnte keine Belege dafür finden. 

Die Frage zielte nicht auf Wahlkampfspenden ab. Man konnte auf der Seite der AfD von zwei Händlern Gold kaufen und einer davon war Degussa Goldhandel.

Ja, aber was heißt das jetzt? Das Motiv der AfD scheint mir ja klar: Sie wollte auf die Euro-Schwäche aufmerksam machen und daraus einen vermeintlichen Ausweg zeigen: den Goldkauf. Ob das mit Degussa-Gold abgesprochen war oder nicht, weiß ich nicht.

Die AfD hat durch den Verkauf von Gold ihren Umsatz gesteigert, weil zu dieser Zeit die Parteienfinanzierung noch zum Teil auf dem unternehmerischen Umsatz basierte. Die Degussa spielte dabei natürlich eine Rolle, weil sie das Gold dafür zur Verfügung gestellt hat.

Ich will die Degussa auch gar nicht in Schutz nehmen. Ich kann nur sagen: Es kann durchaus sein, dass eine AfD-Nähe zu Degussa da ist, so wie sie vom SPIEGEL und anderen dargestellt wird. Es kann aber auch sein, dass diese Verbindung in dem Maße nicht vorhanden ist. Ich weiß es einfach nicht.

Zum Ludwig-von-Mises-Institut: Sie sagten, das ist eigentlich nicht Ihre Position, Sie sind Ordoliberaler und eben nicht Libertärer. Aber Sie tauchen auch auf deren Website als Autor auf.

Ich tauche nicht als Autor des Mises-Insituts auf. Ich habe nur einen Aufsatz für eine Zeitschrift geschrieben über die Grundprinzipien der EU. Darin habe ich gesagt, was aus ordoliberaler Sicht gut und was schlecht läuft. Herr Polleit hatte mich gefragt, ob ich nicht eine kürzere Version auch dem Mises-Institut geben würde. Damals sah ich überhaupt keinen Grund, warum die nicht meinen Aufsatz als Zweitverwertung nutzen könnten.

In dem Artikel schreiben Sie zum Beispiel: „Und auch die Europäische Union, einst ein Verfechter der Freiheit, agiert mehr und mehr interventionistisch und planwirtschaftlich.“ Wollten Sie damit provozieren oder sehen Sie das wirklich so, dass die EU planwirtschaftlich agiert?

Die EU arbeitet zum Beispiel im Agrarsektor mit Subventionen und Mengenquoten und sie vereinbart international, dass für bestimmte Produkte andere Länder nicht an Weltmärkten in dem Umfang und nach Preisen verkaufen können, wie es legitim wäre. Das ist planwirtschaftlich und asozial in einem, vor allem mit Blick auf ärmere Länder des globalen Südens. Zweitens: Die EU setzt marktwirtschaftliche Instrumente wie einen Zertifikatehandel ein, das ist vernünftig. Aber dann fängt sie an, bis in die Unternehmen reinzuregieren. Das ist aus ökonomischer Sicht unheimlich ineffizient. Wie genau wir Emissionen vermeiden, kann eine dezentrale Stelle am besten entscheiden. Davon geht der Ökonom aus. Verbote spielen nur rechten Gruppierungen den Ball zu. Ich wollte damit also gar nicht provozieren, sondern auf Ineffizienzen hinweisen.

Die Frage ist ja, wie es wirkt, so einen Artikel bei diesem Institut zu veröffentlichen. Sie sagen, Sie sind kein Autor des Ludwig-von-Mises-Instituts. Aber wenn man auf deren Website auf den Reiter „Autoren“ klickt, dann erscheint da beim Durchscrollen eben Ihr Bild und dieser Artikel.

Ich habe dem Ludwig-von-Mises-Institut lediglich einen Aufsatz zur Verfügung gestellt. Den Artikel bereue ich inhaltlich nicht. Ich werde Herrn Polleit jetzt nicht bitten, den Aufsatz dort von der Seite zu nehmen, um mich vor Gerüchten zu schützen. Das finde ich albern.

Zurück zur Uni: Über wirtschaftswissenschaftliche Absolvent:innen unserer Uni heißt es, sie seien „Ökonomen Bayreuther Prägung“. Würden Sie sagen, dass dieses Label vor einigen Jahren auch etwas Libertäres oder Marktradikales hatte?

Heute wird dieses Label nicht mehr so stark nach außen getragen. Früher waren die großen Absolventenbälle für Ökonomen und Juristen eine Plattform dafür. Damals stellte man sich mit so einem Label gerne dar. Das Label wurde – wenn ich mich recht erinnere – von den Professoren Sigloch (BWL) und Oberender (VWL) ins Leben gerufen. Dahinter stand die Idee, dass Bayreuther Ökonomen „Gestalter des Wandels“ sind. Sie bleiben nicht bei einer Analyse im Modell stehen, sondern gehen mit Hypothesen, wie es besser laufen kann, an die Öffentlichkeit. Wir waren damals vielleicht ein bisschen politischer als heute. Peter Oberender selbst war liberal und stand für Marktlösungen in vielen Bereichen ein. Zum Beispiel bezüglich des marktlichen Organhandels oder der Einbeziehung von mehr Wettbewerb in das Gesundheitssystem. Auch wenn seine Thesen es bis in die BILD-Zeitung schafften, hatte dies doch mit der „Bayreuther Prägung“ nichts zu tun. Diese sollte rein als Qualitätsmarke fungieren.

Ist die Bayreuther VWL-Lehre heute unterm Strich liberaler als in anderen Städten?

Nein. Ich glaube, wir haben die normalen drei Standbeine: Governance, Empirie und internationale Wirtschaft. Oft dockt die Lehre an liberale Positionen an, weil die nichtliberalen Positionen mehr zum Einzelfallinterventionismus neigen. Ökonomen sind für klare, eindeutige und marktbasierte Instrumente, die mit Blick auf die Ziele effizient sind.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus den Erfahrungen, die Sie mit der AfD gemacht haben? Sind Sie vorsichtiger geworden bei Ihren Äußerungen? Oder würden Sie trotzdem weiter Ihre Meinung vertreten, wie Sie das vorher gemacht haben?

Beides: Ich bin auf jeden Fall vorsichtiger geworden. Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass man so verwertet wird. Die Erfahrung des Ausnutzens habe ich nur mit der AfD, nie mit anderen Parteien, gemacht. Jetzt kann man im Nachhinein sagen: ‚Wie naiv‘. Aber nach meinen Erfahrungen konnte ich einfach nicht damit rechnen. Doch natürlich vertrete ich weiter meine Meinung. Und sollte es einen Punkt geben, den ich vertrete, so werde ich ihn nicht deshalb aufgeben, weil unliebsame politische Gegner diesen Punkt zufällig auch gutheißen.

Würden Sie denn jetzt eher einen Fachvortrag ablehnen?

Nein, Ablehnen ist nicht meine Art. Ich bin einfach vorsichtiger und versuche abzuchecken, dass alles wie vereinbart seinen Gang geht. Einen Fachvortrag vor und mit der AfD heute würde ich aber schon ablehnen. 

Bereuen Sie es, auf der Wahlkampfveranstaltung gesprochen oder den Artikel beim Mises-Institut veröffentlicht zu haben?

Im Nachhinein sehe ich natürlich, dass die AfD sich radikalisiert hat und es ein Fehler war, hier vorzutragen. Aber zu der damaligen Zeit war es die einzige Partei, die eine ökonomisch kritische Sichtweise auf den Euro aufgegriffen hat. Die AfD war damals nicht radikal. Insofern fand ich das zur damaligen Zeit vertretbar, einen Vortrag zu halten. Nur weil das im Nachhinein dann negativ aussieht, kann ich nicht hingehen und meine Vergangenheit verklären. Auch der Aufsatz beim Mises-Insitut war zu der damaligen Zeit völlig vertretbar. In der Summe sieht das dann aus, als sei „der Leschke“ rechts. Das ist natürlich totaler Quatsch. Aber Gerüchte verbreiten sich gerne und Stereotypen machen Spaß. Deshalb habe ich diesem Interview zugestimmt, obwohl ich nicht möchte, dass es so aussieht, als hätte ich mir etwas zuschulden kommen lassen.