„Wir müssen improvisieren“

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An der neuen Fakultät für Lebenswissenschaften in Kulmbach ist in diesem Wintersemester der erste Masterstudiengang gestartet. Doch die Räume und Labore sind noch nicht fertig gebaut und auch beim Lehrplan muss improvisiert werden. Acht Studierende haben es trotz Hürden nach Kulmbach geschafft

Von Helena Schäfer

Auf der Website der Universität Bayreuth wird die neue Fakultät für Lebenswissenschaften als Erfolgsprojekt angepriesen: Interdisziplinäre Forschung und Lehre, methodische Revolutionen und innovative Studiengänge rund um Lebensmittel, Ernährung und Gesundheit – und das in der bekannten Hochburg der Lebensmittelindustrie Kulmbach. Eine Stadt, die zuerst einmal für eine hoch gelegene Burg bekannt ist, ist nämlich Standort einiger Lebensmittelfirmen, Brauereien und sogar des Max-Rubner Instituts, der Bundesanstalt für Fleischforschung. Man hofft auf bis zu 1000 Studierende in der kleinen Nachbarstadt Bayreuths. Dieses Ziel liegt aber noch in weiter Ferne. Immerhin haben die ersten 18 Studierenden in diesem Wintersemester mit dem international ausgerichteten Master „Food Quality and Safety“ begonnen. Acht von ihnen haben es sogar trotz Visa- und Pandemiehürden nach Kulmbach geschafft. Eine von ihnen ist die 24-jährige Helen aus Chennai, Indien. Nach einem Master in Biotechnologie war sie für ein einjähriges Praktikum im Bereich Biochemie in Deutschland. Hier hörte sie zum ersten Mal von der Universität Bayreuth und kam zu dem neuen Programm. „Der Master hier ist einzigartig. Deshalb war er meine erste Wahl, seit ich davon gehört habe. Ich bin glücklich mit der Entscheidung“. Auch Gründungsdekan Professor Stephan Clemens ist zufrieden, dass die ersten Studierenden es nach Kulmbach geschafft haben.

Doch nicht alles läuft rosig in der neuen Außenstelle der Universität Bayreuth. Denn ein wirklicher Kulmbacher Campus ist noch nicht in Sicht. Für die nächsten Jahre ist die Nutzung des Geländes „Alte Spinnerei“ in der Nähe des Bahnhofs geplant. Doch die Bauarbeiten verzögerten sich, Seminarräume und Labore wurden nicht rechtzeitig fertig. Bisher steht nur die alte Verwaltungsvilla der Spinnerei zur Verfügung. Einige Präsenzveranstaltungen am Anfang des Semesters mussten deshalb in Räumen des Bayerischen Roten Kreuz in Kulmbach gehalten werden. Das wird wahrscheinlich auch in den nächsten Monaten noch nötig sein, zusätzlich sei man mit der Volkshochschule Kulmbach im Gespräch. „Das ist eine Herausforderung“, sagt Gründungsdekan Clemens. „Was uns wirklich Probleme macht, ist, dass es keine Aussichten gibt, dass größere Räumlichkeiten in den nächsten Monaten fertig werden.“ Die Verzögerung sei auf eine Kombination an Faktoren zurückzuführen, insbesondere sei Corona schuld. „Die Bauarbeiten sind im Frühjahr zum Erliegen gekommen, weil Bauarbeiter aus Ungarn nicht einreisen konnten. Die Stadt und der Landkreis tun jetzt alles, uns dabei zu helfen, Alternativen zu finden. Die Unterstützung ist da, aber es ist sicher nicht optimal, vor allem weil wir im nächsten Sommer- und dann Wintersemester mit sehr viel höheren Studierendenzahlen rechnen.“ Mit einem Studium auf dem Gelände der alten Spinnerei sei erst im Frühjahr 2022 zu rechnen.

Langfristig sei aber nicht mal die alte Spinnerei als Universitätsgelände geplant. Eigentlich soll der Campus auf einem weiteren Gelände entstehen. Doch auch das dauert. „Ich muss da sehr viel Geduld lernen“, sagt Clemens. „Öffentliches Bauen in Deutschland dreht viele Schleifen. Bei einem Gespräch im Landtag hieß es im November, dass wir mit dem Grundstückserwerb bis zur parlamentarischen Sommerpause in diesem Jahr rechnen können, wenn alles gut läuft.“ Auf die Nachfrage, warum man nicht gewartet habe, Studierende nach Kulmbach zu holen, bis alles fertig ist, sagt Clemens: „Diese Frage kann man sehr wohl stellen und wir stellen uns die auch nach wie vor, auch was die zukünftigen Studiengänge angeht“. Es habe aber auch großen politischen Erwartungsdruck gegeben. Denn das Projekt in Kulmbach gehe auch auf erfolgreiche Lobbyarbeit des früheren Kulmbacher Oberbürgermeisters zurück. Seit 2017 der Kabinettsbeschluss gefasst wurde, bestehe die Erwartung, dass etwas passiere.

Die neue Fakultät in Kulmbach zu bauen, anstatt sie einfach an den Hauptcampus anzugliedern, müsse als Teil einer bayerischen Strategie gesehen werden, die versucht, ländliche Regionen zu stärken und einer alternden Bevölkerung sowie wirtschaftlicher Schwäche entgegenzuwirken, erklärt Clemens. Und Kulmbach passe eben gut wegen der dort angesiedelten Lebensmittelindustrie. Clemens findet auch den sozialen Aspekt wichtig: „Ich glaube, wenn wir universitäre Ausbildung und Forschung aus den Metropolen rausziehen, machen wir die Zugänglichkeit für das Studium besser. Meine große Tochter hat eine Zeit lang in München studiert, ich kenne die Kosten, die damit verbunden sind. Da können wir in Kulmbach ein anderes Studienleben bieten“.

Auch was die Lehre angeht, ist noch nicht alles fertig. Die Berufungen sind noch im Gang. Man hofft auf 13 Professuren im nächsten Jahr. Bisher seien davon aber nur vier fest besetzt. „Wir haben es so organisiert, dass im November die beiden angefangen haben, die schon vor Ort waren“, sagt Clemens. Deshalb wurden die Studierenden bisher vor allem in Lebensmittelrecht und Statistik unterrichtet. Jetzt im Januar kommen dann auch die ersten naturwissenschaftlichen Professuren dazu. Die können aber erst einmal nur theoretisch lehren, weil Räume für die Laborarbeit fehlen. „Wir müssen notwendigerweise improvisieren“.

Masterstudentin Helen mit ihrer Buddy-Partnerin Helga aus Kulmbach

Masterstudentin Helen ist ungeachtet all dieser Probleme begeistert von ihrem Studiengang. Für sie ist es kein Problem, dass bisher viel Jura und Statistik gelehrt wurde: „Ich finde diesen Start perfekt, weil man langsam anfängt mit etwas, das für viele von uns Naturwissenschaftlern unbekannt und schwierig ist, und danach wird dann das Tempo angezogen“. Besonders mag sie die Vielseitigkeit des Programms und die Unterstützung von Seiten der Professoren. Mit den meisten anderen Studierenden und sogar manchen Dozenten, die vor Ort sind, lebt sie in einem extra gebauten Wohnheim. „Ich habe das Gefühl, wir sind eine kleine Familie, wirklich. Ich habe ziemliches Glück. Ich bin es gewöhnt, weniger Kontakt zu Studierenden und Professoren zu haben“. Die Studierenden vor Ort haben in der Weihnachtszeit sogar einen gemeinsamen Instagram-Account erstellt, wo sie Videos von gemeinsamen Momenten posten. Natürlich gebe es auch einige Herausforderungen: „Das Unileben ist nicht das normale Unileben mit Sport und anderen Angeboten. Aber ich bin sicher, dass das noch besser wird“. Für Einführungsveranstaltungen war sie am Anfang des Semesters auch in Bayreuth. „Ich liebe den Campus da. Er ist sehr schön. Und natürlich würde ich diesen Campus bevorzugen, sorry Kulmbach“, sagt sie, aber lacht dabei. An sich mag sie ihren neuen Studien- und Wohnort: „Kulmbach ist nett. Es ist sehr friedlich. Man kann sich hier gut konzentrieren. Und die Bürger hier freuen sich, dass wir hier sind, glaube ich. Sie heißen uns hier willkommen.“ Sie hat sogar regelmäßigen Kontakt zu einer Kulmbacher Bürgerin: „Wir haben ein Buddy-Programm. Mein Buddy heißt Helga. Sie ist Lehrerin. Ich finde es cool, dass wir als Team gepaart wurden, weil ich mich auch für ihren Beruf interessiere. Sie ist sehr offen und wir haben immer viel zu reden, über deutsche Kultur, Kulmbach, Bildung“. Auch die anderen in ihrem Master seien zufrieden, versichert Helen, die als Studierendenvertretung schon Feedback von ihren KommilitonInnen gesammelt hat. Aber ob der neue Standort es im Sinne der Strukturstrategie auch schafft, langfristig junge Menschen an die Region zu binden? „Nach dem Studium würde ich gern in einer etwas größeren Stadt leben“, sagt Helen. „Nicht so groß wie München oder Berlin, aber vielleicht so wie Bayreuth“.