Rassismus gibt es überall, auch an der Universität Bayreuth. Wie eine Schwarze Studentin von einer weißen Dozentin verklagt wurde, warum darüber nicht mehr öffentlich berichtet wurde und was sich seitdem an der Uni ändert. Eine Suche nach Antworten
Von Hanno Rehlinger und Helena Schäfer
„Die Universität Bayreuth versteht sich als ein gerechter und sicherer, diskriminierungs- und gewaltfreier Studien-, Lehr- und Arbeitsort.“ So steht es in der Präambel der Antidiskriminierungsrichtlinie, die 2020 erlassen wurde. Rassismus hat uns alle, und wir meinen wirklich alle, gerade im letzten Jahr viel beschäftigt. Dabei ist er für manche von uns schon sehr viel länger und auf sehr viel schmerzlichere Weise ein zentrales Thema. Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft, auch wenn das den weißen von uns oft nicht klar ist. Immer wieder gibt es Fälle von Rassismus, auch an der Uni Bayreuth, nur ein Bruchteil davon gelangt an die Öffentlichkeit. 2018 hat sich an unserer Uni eine Geschichte abgespielt, deren Erzählung seitdem weitgehend verstummt ist. In einem Seminar zu herrschaftskritischer Lehre hat sich eine Schwarze Studentin von einer weißen Dozentin diskriminiert gefühlt. Auf verschiedenen Wegen suchte die Studentin an der Universität Hilfe, vergeblich.
Im Januar 2020 landete der Fall vor Gericht. Die Dozentin warf der Studentin vor, eine Rufmordkampagne gegen sie zu fahren, es ging auch um eine unerlaubt angefertigte Tonaufnahme während der Seminarsitzung. Zwischen beiden Parteien wurde ein Vergleich geschlossen, die Studentin musste den Großteil der Kosten des Prozesses tragen. Das letzte öffentliche Indiz war ein Aufruf der Model African Union Bayreuth zum Crowdfunding, um die 780 Euro, die die Studentin zahlen musste, zusammenzukriegen. Das glückte, und seitdem blieb es still um die Geschichte. Nicht nur wurde die Berichterstattung eingestellt, es blieben auch keine öffentlichen Papiere, die den Fall dokumentieren.
Zuallererst verschwand der anonyme Gastbeitrag im Falter, der den Vorfall schilderte. Wir unterzeichneten eine Unterlassungserklärung und verpflichteten uns, diesen Artikel und bestimmte Aussagen daraus nicht weiter zu verbreiten. Dann ein Bericht des Nordbayerischen Kuriers über die Gerichtsverhandlung, der von der Website des Kuriers verschwand. Und schließlich traut sich die Studentin nichts mehr zu sagen, auch aus Angst, wieder verklagt zu werden, die Dozentin reagiert nicht auf Anfragen und die Gerichtsakten bleiben verschlossen. Wir haben mit diversen Beteiligten gesprochen, von der Universitätsleitung bis zur damals zwischen den Parteien vermittelnden Professorin, Mitgliederinnen des GeQuInDi-Netzwerks (Gender, Queer, Intersectionality und Diversity Studies) sowie Vertreterinnen der Fakultät. Niemand, wirklich niemand, hat das Gefühl, offen über den Fall sprechen zu dürfen. Wie ist es dazu gekommen?
„Meiner Meinung nach ist es entscheidend, wie und für wen das Gesetz aufrechterhalten wird“, sagt Tanu Biswas über den Fall. Sie ist Postdoc an der Uni Bayreuth; als Mitglied im Netzwerk GeQuInDi hat der Fall sie sehr beschäftigt. Über die Dozentin sagt sie heute: „Ich denke, die rechtlichen Schritte der Dozentin haben nicht nur adultistische und rassistische Diskriminierung gegen unsere Studentin aufrechterhalten, sondern auch die studentische Demokratie attackiert. Der Dozentin gelang es, verschiedene Personen, inklusive der Studentin, die Diskriminierung erfahren hat, zum Schweigen zu bringen. Die Universität hat der Studentin an entscheidenden Punkten keinen entsprechenden Safe Space und keine solide Unterstützung geboten“.
Abgesehen von dem offensichtlichen Machtungleichgewicht zwischen der Studentin und der Dozentin hat der Gang zum Anwalt der Letzteren das Gespräch mit der Studentin, aber auch mit allen weiteren Beteiligten am Campus nachhaltig verhindert. Aber gerade dieses Gespräch ist wichtig! Denn dass es Fälle wie diesen gab und weiter geben wird, lässt sich nicht leugnen. „Ja, es gibt Rassismus an der Universität Bayreuth und das ist kein Alleinstellungsmerkmal, sondern das gilt für alle Hochschulen, das ist systemisch bedingt.” So sagt es uns die Sprecherin des GeQuInDi-Netzwerks Professorin Susan Arndt, die in dem Konflikt zu vermitteln versuchte. Sie sieht den Fall als entscheidend für eine veränderte Wahrnehmung an der Uni Bayreuth: „Es gab andere rassistische Fälle. Oftmals wurde das eher ignoriert und weggewischt, aber diesen Fall hat wirklich niemand nicht ernst genommen. Alle wollten was machen, aber ab dem Zeitpunkt, als die Auseinandersetzung mit juristischen Mitteln geführt wurde, hatte keine der Strukturen ein Instrument, um die Studentin sinnvoll zu unterstützen. Auch davor erwies sich das bereits als kompliziert. Mir kam hier die Erkenntnis, dass wir geschulte und mit Kompetenzen ausgestattete Ansprechpersonen, etwa in der Servicestelle Diversity, benötigen, die dazu ausgebildet sind, über Diskriminierung und Rassismus zu reflektieren. Das ist auch eine Erkenntnis, die die Hochschulleitung daraus gezogen hat. Diese Erkenntnis geht leider auf Kosten der Studentin, aber es hat sich dadurch etwas geändert.”
Dass sich etwas verändert, erzählen uns auch Unipräsident Professor Stefan Leible und Professor Thomas Scheibel, Vizepräsident für „Internationale Angelegenheiten und Chancengleichheit”. Den Eindruck von Susan Arndt, dass erst „die Diskriminierung, die die Studentin erfahren hat, der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat”, teilen sie allerdings nicht. Warum sich die Uni nie öffentlich hinter die Studentin gestellt habe, fragen wir. Schließlich hätte man so der Studentin wenigstens Rückhalt signalisieren können. Für Unipräsident Leible kam das nicht in Frage: „Das ist ein Fall, den wir innerhalb der Universität nach den normalen Regeln, die dafür gelten, behandelt und zu einer Lösung geführt haben. In ein Gerichtsverfahren zwischen diesen beiden Personen sind wir als Universität schlicht und einfach nicht involviert”.
Aus Sicht von Leible und Scheibel waren es weder der besprochene Fall noch die „Black Lives Matter”-Proteste im letzten Sommer, die für Veränderungen an der Universität verantwortlich sind. „In einem Prozess, der zwei Jahre gedauert hat, haben wir angefangen, die Servicestelle Diversity aufzubauen,” sagt Thomas Scheibel. „Am Anfang war das eine One-Man-Show und dann haben wir das kontinuierlich ausgebaut. Das hatte also keinen Brief im letzten Sommer zum Anlass, sondern das ist ein kontinuierlicher Prozess.” In jenem Brief forderten Studierende und unterzeichnende Hochschulgruppen im Juli 2020, dass sich die Universität noch klarer gegen Rassismus positionieren soll. Präsident Leible hatte einige Monate zuvor die „Charta der Vielfalt” unterzeichnet, eine Bekräftigung, Vielfalt und Chancengleichheit an der Universität Bayreuth zu fördern. Den VerfasserInnen des Briefes reichte das nicht aus.
Auf unsere Frage, warum sich die Universität nicht öffentlich hinter Black Lives Matter gestellt hat, erklärt Scheibel: „Ich helfe lieber konkreten Personen, die zu mir kommen, als mich für irgendeine Hashtagbewegung auf den Marktplatz zu stellen”. Aber gerade diese Hashtagbewegung hat so vieles verändert. Und Susan Arndt macht zurecht deutlich: „Nur wenn Studierende das Gefühl und die berechtigte Hoffnung haben können, dass die Universität sich dem Thema stellt, haben sie Vertrauen in die Struktur.”
Dieses Vertrauen ist an der Universität Bayreuth noch nicht gegeben. Die Studierenden Dagmar Kohlmeier, Anne Zahn und Natalie Seibold haben im Rahmen eines Seminars eine Studie zu Rassismus an der Universität Bayreuth durchgeführt. Die Ergebnisse sind traurig, aber nicht unvorhergesehen: „Während [das Campus-Klima] für einige weiße Studierende eher inklusiv erscheint, fühlt es sich für viele Schwarze Studierende exkludierend an.” Dabei geht es nicht unbedingt um direkte Anfeindungen oder die Angst, verklagt zu werden. „Ein Mangel an Diversität bei Seminartexten bis hin zu einem Mangel an öffentlichen Stellungnahmen zu Rassismus am Campus oder im Stadtbild Bayreuths lässt BPoC (Black and People of Colour) als weniger zugehörig zur Universität und dem universitären Leben erscheinen.” Basierend auf den Ergebnissen ihrer Studie, bei der 64 Personen befragt wurden, fordern sie eine „umfassende anonyme Datenerhebung zu rassistischen Vorfällen innerhalb der Institution”, „verpflichtende Workshops für Studierende und Lehrende der Universität zum Thema Anti-Rassismus” sowie die Einführung von Quoten basierend auf Erhebungen zu Diversity, die aber auch erstmal noch durchgeführt werden müssten.
Auch wenn eine öffentliche Stellungnahme zu Black Lives Matter ausblieb, hat sich an der Universität Bayreuth einiges getan. In den letzten Monaten wurde ein Antirassismuskomitee ins Leben gerufen, das dieses Wintersemester zum ersten Mal tagen soll. Für Stefan Leible ist das ein erster Schritt, „um uns gerade von denjenigen auf dem Campus, die ExpertInnen auf dem Gebiet sind, Rat zu holen, Probleme offenzulegen, die wir vielleicht gar nicht sehen, und dann zu versuchen, Lösungen dafür zu finden.” Thomas Scheibel weist auch darauf hin, dass im Komitee nicht nur weiße Personen sitzen dürften, ein Grund, warum er selbst zurücksteckt: „Ich nenne mich immer gerne ein Weißbrot. Ich sollte mich dazu nicht äußern. Es ist an der Zeit, den Leuten eine Stimme zu geben, die betroffen sind und sie zu unterstützen.” Alles in allem scheint die Angelegenheit also in kompetente Hände gelegt worden zu sein. Auch Susan Arndt ist zuversichtlich: „Ich habe das Gefühl, dass es im Moment einen starken politischen Willen aus den verschiedenen Richtungen gibt und ich bin positiv, dass es zum Anfang des Sommersemesters da auch schon sichtbare Verbesserungen geben wird.”
Im Komitee sitzen unter anderem Professor Rüdiger Seesemann, Dr. Christine Vogt-William, Michelle Epps als studentische Vertretung, Professorin Arndt und Dr. Stephan Kurth als Leitung der Servicestelle Diversity. Ziel ist es, einen geschützten Raum zu etablieren, in dem Betroffene über Rassismus berichten können, ohne sich in die Defensive begeben zu müssen. Susan Arndt hofft, „dass es durch dieses Komitee die Möglichkeit gibt, Rassismusvorfälle zu dokumentieren – auch anonym. Es macht einen Unterschied, ob Studierende einzelnen Dozentinnen etwas erzählen und um Anonymität bitten oder ob Vorkommnisse systematisch dokumentiert werden. Dann fallen rassistische Erfahrungen nicht mehr so schnell unter den Tisch und es wird aufgehört, nur nach Einzelfalllösungen zu suchen.”
Es gehöre zur Arbeit von Institutionen wie der Universität, die systemische Verkettung solcher Ereignisse festzustellen. Und zwar, “ohne dass dabei dann immer die einzelnen Personen eingebunden werden, denn das ist dann ja nur die Fortsetzung der Diskriminierung, bei der einzelne Personen dazu gezwungen werden, sich diesem Kampf zu stellen”, betont Arndt. Besonders wichtig ist ihr, dass das Gremium eine tatsächliche Struktur des Organigramms der Universität wird. „Das neu gegründete Antirassismuskomitee soll nicht nur eine Art Token werden, sondern tatsächlich eine Struktur, die sehr eng auf konkrete Arbeits- und Entscheidungsprozesse einwirken kann!”
Auch die im letzten Jahr erlassene „Richtlinie zum Schutz vor Diskriminierung und Belästigung” sieht vielversprechend aus. So verpflichtet sich die Hochschule zur „Verankerung von Diversity und Antidiskriminierung in der Personalgewinnung” und möchte auch Schulungen zum Thema Antirassismus und Gleichbehandlung anbieten, allerdings erst einmal nur für das Lehrpersonal und die Führungsebene. Konkret werden außerdem zwei Verfahren bereitgestellt, um Betroffenen in der Zukunft eine Handhabe zu geben: Das Beratungsverfahren läuft über die Servicestelle Diversity und die anderen Mechanismen, die bereits an der Universität implementiert sind. Hier geht es in erster Linie darum, Betroffene beim Suchen eines Gesprächs zu unterstützen und sie über die Möglichkeit einer Beschwerde zu informieren. Die Möglichkeit der Beschwerde ist dann das zweite Verfahren. Aktuell ist die Beschwerdestelle von Dr. Anja Chales de Beaulieu und Dr. Stefan Kurth besetzt, eine BPoC (Black oder Person of Colour) ist noch nicht dabei. Dass eine BPoC mit diesen Aufgaben betraut ist, wäre aber besonders wichtig, finden Dagmar Kohlmeier und ihre Mitstreiterinnen basierend auf den Ergebnissen ihrer Studie. Am besten sollte diese Person auch nicht als Lehrperson oder Ähnliches an der Uni arbeiten, sondern extern sein.
Aktuell läuft das Beschwerdeverfahren so: Die Beauftragten der Beschwerdestelle untersuchen einen potenziellen Fall und legen einen Abschlussbericht vor, auf den verschiedene Konsequenzen folgen können. Liegt ein besonders komplizierter Sachverhalt vor, kann eine Beschwerdekommission einberufen werden, die von mindestens drei Personen besetzt sein muss, wobei die Statusgruppen beider Parteien vertreten sein müssen. Ganz am Ende entscheiden dann PräsidentIn oder KanzlerIn.
Rassismus ist ein System, in dem wir uns alle bewegen, ein System, das uns alle einschränkt und ein System, dem wir nicht so schnell entfliehen werden. Professor Paul Mecheril, Professor an der Universität Bielefeld und ein führender Rassismusforscher in Deutschland, meint, das Wichtigste sei, klar zu machen, “dass alle AkteurInnen an der Universität etwas davon haben, wenn sie sich mit rassistischen Strukturen auseinandersetzen, und dass es nicht darum geht, das moralisch suspekte Subjekt zu identifizieren.” Wir alle müssen uns dieser Strukturen bewusstwerden, um unsere Vorurteile und unser Handeln zu verstehen. So erklärt Professor Mecheril uns: „Es kann auch mir passieren, dass sich im Seminar Studierende verletzt fühlen. Ich kann also nicht versprechen, dass das nicht passiert – auch wenn ich mich bemühe – ich kann aber versprechen, dass wenn es passiert, wir es zum Thema machen.” Mit diesem Versprechen möchten wir enden, denn es ist dieses Versprechen, das wir uns alle geben sollten.
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