Die neuen Datenschutzrichtlinien bei WhatsApp und das Sperren von Trumps Social-Media-Kanälen zeugen einmal wieder von der beispiellosen Macht der digitalen Medienkonzerne. Sie sind gefährlich für Demokratie und menschliche Autonomie. Aber es müsste nicht so sein.
Spricht man von der Entwicklung einer freien aufgeklärten und demokratischen Gesellschaft, so kann dies nicht abgekoppelt von Mediengeschichte und -wandel geschehen. Der Buchdruck durchbrach die zentralisierte Macht des Klerus und öffnete die Möglichkeiten zur Verbreitung von Wissen. Durch die zunehmende Verbesserung von Drucktechniken entstanden die Printmassenmedien, die durch das Gewährleisten günstigen Zugangs zu Wissen die Massenpolitisierung und Demokratisierung Ende des 19. Jahrhunderts vorantrieben und Kritik an der monarchischen Herrschaft ermöglichten. Doch die Medienrevolutionen sind offensichtlich keine reinen Erfolgsgeschichten des freien Denkens. Davon zeugen die Propagandamaschinerien, um deren Herstellung und Aufrechterhaltung sich vielerorts bis heute bemüht wird. Bei der Frage nach Herrschaft und Demokratie ist immer die Frage nach der epistemischen Macht zu stellen: der Macht über die Generierung, die Verbreitung und den Zugang zu Wissen und denjenigen Technologien, die dies ermöglichen.
Heute befinden wir uns in einem neuen medialen Strukturwandel. Die Medienrevolution durch die sozialen digitalen Kommunikationsplattformen hat um sich gegriffen und den Zugang zu Wissen nachhaltig verändert. Auch hier lassen sich viele Prozesse der Politisierung und Demokratisierung erkennen. Im arabischen Frühling spielten Facebook, Twitter und YouTube eine nicht unwichtige Rolle bei der Vernetzung und Mobilisierung von Protestierenden. Auch bei den Gezi-Park-Protesten gegen das Regime Erdoğans waren die sozialen Netze von zentraler Wichtigkeit. Denn die Massenmedien von Print und Fernsehen befanden sich hierbei in den Händen AKP-treuer Unternehmen, die alles daransetzten, die Aufklärung und Mobilisierung der Bevölkerung zu verhindern, und berichteten lieber von Pinguinen in der Antarktis, statt von Polizeigewalt gegen Demonstrierende auf den eigenen Straßen. Zudem dienen sozialen Medien der (internationalen) Vernetzung marginalisierter Gruppen. Dass Twitter, Instagram und Co. das Sprachrohr ganzer Generationen sind, bedarf keiner Erwähnung. Und gerade deshalb muss man sich die Verhältnisse der Macht von digitalen Medienkonzerne über Wissen anschauen, vor allem weil man es hier mit einer neuartigen beispiellosen Form der Wissensungleichheit und -steuerung zu tun hat.
Erst vor kurzem sorgten die neuen Datenschutzregelungen von WhatsApp für Aufregung und veranlassten viele Nutzer*innen, den Messenger-Dienst zu verlassen und auf die erstarkende Konkurrenz von Telegram und Signal umzuschwenken. Die Datenschutzerklärung ist extrem intransparent und vage. In ihr verbirgt sich die Gefahr, dass die Daten der WhatsApp-User*innen mit Facebook verknüpft und weitergegeben werden können. Diese Undurchsichtigkeit hat Konzept und ist in fast allen Strukturen großer Digitalkonzerne zu finden. Die privaten Daten werden intransparent enteignet. Man weiß nicht welche Daten gesammelt werden, wo diese hingehen und an wen sie verkauft werden.
Der zweite Aufreger war das Stummstellen Donald Trumps auf mehreren Plattformen. Twitter galt als zentrales Sprachrohr des Ex-Präsidenten. Einzelne Konzerne haben die alleinige Entscheidungsmacht, den mitunter wichtigsten Kommunikationsweg einer politischen Instanz zu kappen. Dies zeugt explizit von der enormen Macht, die sie über den öffentlichen Diskurs und die Verbreitung von Informationen haben. Jedoch geschieht die undemokratische Eingrenzung öffentlicher Kommunikation schon viel früher, nämlich als grundlegendes Problem des Geschäftsmodells der Digitalkonzerne. Seine Strukturen haben erst dazu geführt, dass jemand wie Donald Trump Twitter so für sich nutzen kann, wie er es getan hat. Und dies hat in unmittelbarer Weise etwas damit zu tun, was mit unseren individuellen Daten geschieht.
Konzerne wie Google, Facebook, Twitter und Co. erwirtschaften Kapital, indem sie uns überwachen, unsere Daten sammeln und an Werbefirmen weiterverkaufen. Wie üblich gilt auch hierbei die Maxime des Wachstums und der Konkurrenz. Immer mehr Daten müssen immer schneller und effizienter gesammelt und verwertet werden. Dazu müssen erstens mehr und mehr Bereiche unseres privaten Lebens erfasst und ausgewertet werden. Die Überwachung dringt bis ins letzte Eck unseres Privatlebens, unserer Persönlichkeit vor. Zweitens müssen wir so lang und oft wie möglich zur Nutzung bewegt werden, damit die Daten auch konstant gesammelt werden können. Um letzteres zu verwirklichen, müssen – drittens – Vorhersagen über unser zukünftiges Verhalten getroffen werden. Die Handlungen, die wir jetzt auf unserem Smartphone oder Computer vollziehen, haben direkten Einfluss auf den zukünftigen Inhalt unserer Startseiten und Newsfeeds. Facebook hat genaueste Informationen über die Emotionen seiner Nutzer*innen und kann dadurch gezielt in den richtigen Momenten der Verwundbarkeit die richtigen Produkte, die richtigen Inhalte präsentieren.
Und all dies bezieht sich keinesfalls nur auf Werbungen. Cambridge Analytica versuchte anhand der Personalitäten von Wähler*innen Wahlentscheidungen möglichst effizient zu beeinflussen. An den politischen Extremen entstehen sogenannte Filter Bubbles, teils in sich geschlossene Meinungsräume, in denen alternative Fakten und Verschwörungstheorien ungebremst florieren können. Die Medienkonzerne aus dem Silicon Valley wollen unsere vollste Aufmerksamkeit. Und die bekommen sie, wenn sie uns genau das präsentieren, was wir sehen und hören wollen, oder eben das, was polarisiert, was Aufmerksamkeit generiert. Nicht ohne Zufall ist das Internet der beliebte Spielplatz der neuen Rechten. Algorithmen und Populismus existieren in symbiotischem Miteinander. Ein Öffentlichkeitsauftritt wie der von Donald Trump profitiert von diesen Mechanismen. Die ständigen Skandale verschaffen ihm höchste Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit und die Filter Bubbles seiner Anhänger*innen unterbinden kritische Auseinandersetzungen. Selbstverständlich werden die herkömmlichen publizistischen Formate nicht einfach abgelöst, aber sie müssen sich innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie des Internets gegen die Konkurrenz behaupten. Sich dem Ganzen einfach zu entziehen, ist möglich, aber kaum wünschenswert. Denn durch die Abwendung von sozialen Medien verschließt man sich vor der Öffentlichkeit.
Dies alles ist mittlerweile zur Normalität geworden. Die Menschen können sich kaum eine Alternative vorstellen. Als wäre das Geschäftsmodell der Medienfirmen Naturgesetz. Jedoch gibt es durchaus Wege die Macht der Konzerne einzugrenzen und die digitale Kommunikation zu demokratisieren. Dafür muss der Datenwettbewerb besser reguliert und gesetzlich eingegrenzt werden. Erstens durch die bessere Regelung von Angebot, also einschränkende Vorschriften beim Sammeln privater Daten zur wirtschaftlichen Nutzbarmachung. Zweitens durch die Eindämmung der Nachfrage, also der Illegalisierung von Märkten, die mit zukünftigem Verhalten von Menschen handeln. Es bedarf einer Demokratisierung der Kommunikationsmittel und mehr Transparenz von Seiten der Konzerne. Findet diese nicht statt, wird sich die extreme Ungleichheit über den Wissensbesitz und die Gefährdung menschlicher Autonomie ungehindert fortführen. Weiterhin braucht es deutlich produktivere Medienbildung. Statt die Schulen nur mit Laptops, Tablets und Whiteboards auszustatten, die dann nur die Hälfte der Lehrkräfte bedienen können, muss über die Funktionsweisen und Chancen der digitalen Medien aufgeklärt werden. Wir müssen lernen, mit der neuen Medienrevolution umzugehen. Nur dann kann uns die Digitalisierung helfen, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Um mit Jürgen Habermas zu enden: „[…] Wie die Nutzer der Presse erst lesen lernen mussten, muss auch die Nutzung des neuen Mediums gelernt werden.“ Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es wird nicht einfach so von sich aus geschehen und sicherlich auch nicht im Sinne der Konzerne.
- Querdenken in der Familie - 12. Februar 2021
- Digitalenteignung - 12. Februar 2021