Wie lässt sich ein Van Gogh Gemälde durch musiktheoretische Ansätze analysieren? Und was hat das mit Isaac Newton zu tun?
Die Antwort steckt in der Schnittmenge von Musik und Physik. Adam Neely versucht, auf seinem gleichnamigen YouTube-Kanal dem geneigten Publikum unter anderem diese technisch anspruchsvolleren Zusammenhänge der Musik näherzubringen. Er ist selbst Absolvent des Berklee College of Music in Boston und spielt E-Bass in mehreren Bands, unter anderem in seiner eigenen Elektronik-Jazz-Band Sungazer. Ich will hier vermeiden, vorwegzunehmen, inwiefern Rhythmus, Tonhöhe und Farbe Ähnlichkeiten aufweisen, denn das kann das Video um einiges besser.
Was ich will, ist eine Art Filmempfehlung abzugeben, nur dass sie sich nicht um einen einzelnen Film dreht, sondern um eine Sammlung von Videoessays über eine Vielzahl von musikalischen Themen. Von Komposition über Kulturkritik bis hin zum Konzert-Vlog findet man bei Adam Neely eigentlich so ziemlich alles, was das Herz des Musikenthusiasten begehrt. Ich korrigiere; alles, bis auf eine formale Einführung in die Grundzüge der Musiktheorie. Ich gebe zu, das kann den Laien davon abhalten, etwas mit der Jazz-Reharmonisierung von Adeles Hello anfangen zu können, zumindest von dessen formalen Analyse. Es hält ihn aber nicht davon ab, zu lernen, dass wenn wir den Begriff Musiktheorie verwenden, oft eigentlich den “harmonischen Stil europäischer Musiker des 18. Jahrhunderts” meinen und inwieweit die heutige musikalische Lehre immer noch vom musikalischen Verständnis weißer, meist deutscher Komponisten dominiert wird.
Dabei schafft Neely es, diese schwierigen Fragen in eine anspruchsvolle Diskussion zu verpacken, bei denen Interviews mit Musikprofessoren und gute Recherchearbeit zusammenfließen, die hier und da von einem Witz durchbrochen werden. Immer wieder ist dieser Humor auch musikalischer Natur, so ist die zu sehende Melodie, welche sich in den Soli unzähliger Musiker finden lässt, zu einer Art humoristischer Idée Fix seiner Videos geworden. Was ist daran witzig, mag man fragen. Nun, ich bin geneigt zu sagen, dass man zum Lachen zunächst in den Kreis der Eingeweihten eintreten muss.
Einzutreten ist jedoch nicht schwierig, denn neben anspruchsvollen Analysen behandelt Neely auch Themen, die sich nicht in der Nische der Musiktheorie-Nerds bewegen.
So werden Urheberrechtsfragen diskutiert und Rechtsstreits der Popmusik analysiert, um unter anderem zu zeigen, dass es sinnlos ist, eine Klangfarbe oder einen Akkord urheberrechtlich zu schützen. Umso mehr, wie gefährlich es für die Musikwelt sein kann, wenn angebliche Experten diese Positionen vor Gericht verteidigen.
Durch Adam Neelys Videos zieht sich als roter Faden ein analytischer, wissenschaftlicher Ansatz, der musikalische Themen aus der Warte verschiedenster Disziplinen beantwortet. Von der philosophischen Frage, ob Musik überhaupt eine Bedeutung hat, über die linguistische Frage nach der Verbindung zwischen Musik und Sprache bis hin zur physikalischen Frage, warum der Ton A die Farbe Orange repräsentiert.
Eine Antwort findet ihr bei Adam Neely auf YouTube, eine lohnende Abwechslung zwischen 10-Sekunden Memes, weißen Collegeboys, die 90er Hip Hop auf ihrer Akustik-Gitarre dudeln und 35-Jährigen, die Minecraftblöcke stapeln.
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