Die Akademisierung von Ausbildungsberufen löst seit Jahren hitzige Debatten aus. Besonders betroffen ist die Gesundheitsbranche.
von Antje Behm
So eine Recherche auf der Seite des Hochschulkompass ist eine spannende Sache. Vor drei Jahren habe ich dort meinen Bachelorstudiengang gefunden. Heute interessiere ich mich für eine Debatte, die seit mehreren Jahren in Deutschland kocht: die Akademisierung der Ausbildungsberufe. Anfang 2021 werden ohne Filter 20.515 Treffer angezeigt. Bei dieser Zahl verwundert es kaum, dass so viele Schulabgänger mit der Wahl eines passenden Ausbildungsweges überfordert sind. Eine Berufsgruppe, die in der Debatte immer wieder besonders hervorsticht, sind die Hebammen. Wenn man den Begriff „Hebamme“ im Suchfeld eingibt erscheinen 31 Ergebnisse. Von „Angewandter Hebammenwissenschaft“ über „Hebammenkunde“ bis „Geburtshilfe/ Hebammenkunde dual“ ist alles dabei. Auch die wohlbekannten Anglizismen dürfen nicht fehlen. Osnabrück bietet den Studiengang „Midwifery“ an, Unterrichtssprache Deutsch.
Die Akademisierung unserer Gesellschaft ist im Alltag sichtbar. Viele Azubis starten in ihre Ausbildung mit dem festen Vorsatz im Anschluss noch zu studieren. Abiturienten, die sich für eine Ausbildung entscheiden, werden oft ungläubig angeschaut („Aber du hast doch Abitur!“). Gleichzeitig wollen viele Betriebe ohne Abitur gar nicht mehr einstellen. Der Deutschlandfunk Kultur fasst die Zahlen der Akademisierung zusammen. Während im Jahr 1950 nur etwa fünf Prozent eines Geburtenjahrgangs den Weg ins Studium fand, führten die Neugründungen von Universitäten und Hochschulen Mitte der Sechziger zu einem erheblichen Anstieg. Im Jahr 1972 waren es bereits 18% und im Jahr 1990 stolze 30%. Im Jahr 2019 kletterte die Quote auf schwindelerregende 60%.
Zum einen liegt das daran, dass es wahrscheinlicher ist zu studieren, wenn die Eltern Akademiker sind. Der Anteil an Studierenden muss also von Generation zu Generation steigen. Zum anderen werden viele Ausbildungsberufe in Studiengänge umgewandelt. Dazu gehören Krankenpflege, Ergotherapie und frühkindliche Erziehung, ebenso wie Geburtshilfe. Das steht in der Kritik. Professoren und Dozenten an Universitäten qualifizieren sich oft ausschließlich über Forschung. Viele fragen sich: wo bleibt da die Praxisnähe?
Im Januar 2020, also vor genau einem Jahr, trat das neue Hebammengesetz in Kraft. Dieses besagt, dass Hebammenschulen nur noch bis 2022 Kurse anbieten dürfen. Diese müssen dann bis spätestens 2027 abgeschlossen sein, dann endet die Übergangsfrist zum dualen Studium. Die Meinungen dazu sind differenziert. Die einen befürchten, dass die Bürokratie und das Chaos der Umstellung die bereits bestehenden Probleme der Unterbezahlung und Überlastung verstärken könnten, was zu einem noch größeren Personalmangel führen würde. Die anderen erhoffen sich von der Umstellung eine breitere Palette von Ansätzen und Prioritäten bei der Geburtshilfe. Durch den wissenschaftlichen Zugang könne endlich eine Forschung für Gebärende entstehen. Das Ziel: Die Geburt würde nicht mehr nur medizinisch betrachtet, sondern für das Wohlbefinden der Mütter optimiert. Der deutsche Hebammenverband begrüßt die Veränderung, die schon länger von der WHO empfohlen wurde und freut sich auf der Homepage darüber, dass Deutschland „zum Wohl der betreuten Frauen und ihrer Kinder das Niveau der Ausbildung anhebt.“ Der größte Vorteil an der Umstellung ist die europäische Einheitlichkeit. Andere Länder haben die Geburtshilfe schon früher akademisiert. Jetzt kann mit dem deutschen Abschluss überall in Europa gearbeitet werden. Wer bereits ausgebildete Hebamme ist bleibt das auch in Zukunft.
Kritiker der Reform befürchten, dass die Akademisierung nur ein kosmetischer Eingriff ist und fordern zuerst bessere Bezahlung und stabileres Personalmanagement durchzusetzen.
Es lässt sich schwer abschätzen, wie sich die Hochschullandschaft weiter entwickeln wird. Viel wichtiger als der Streit um Abschlüsse und Titel wäre vielleicht ein gesellschaftliches Umdenken. Die Akademisierungs-Debatte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesundheitssektor ganz andere Probleme hat. Die Leistung medizinischen Fachpersonals sollte anerkannt werden. Ob studiert oder nicht.
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