Aus den Augen, aus dem Sinn?

Obdachlosigkeit in Bayreuth während der Corona-Krise

Von Eva Manegold

Bayreuth: Wagner-Mekka, Unistadt, Beamten-Hochburg. Hier lebten 2018 laut Statistischem Jahrbuch offiziell 74.657 Menschen. Und mindestens 60 Obdachlose. Heute, Anfang 2021, mitten im Corona-Winter liegt diese Zahl vermutlich höher – aber wo sind diese Menschen, die fast wie unsichtbar scheinen während des Lockdowns? Und wo waren sie vorher?

Zuhause bleiben und Kontakte zu anderen Menschen meiden; so lautet aktuell die dringende Empfehlung der Bundesregierung. Schwierig ist das vor allem für Menschen ohne eigenen Mietvertrag und festen Wohnsitz (wohnungslos) und noch problematischer für diejenigen, die auf der Straße leben müssen (obdachlos), also nicht mal eine provisorische Bleibe haben. Menschen, die von Wohnungslosigkeit und insbesondere Obdachlosigkeit betroffen sind, werden von ihren Mitbürger*innen häufig kaum wahrgenommen. Und wenn doch, dann existieren diverse Vorurteile über sie, die verhindern, dass sie als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft anerkannt und dementsprechend behandelt werden. Detlef Dehnert, Vorsitzender des Schutzengel e.V. und ehemaliger Streetworker ist sich sicher, dass auch innerhalb der Bayreuther Gesellschaft die Stigmatisierung und Marginalisierung der Bayreuther Obdachlosen noch verschlimmert.

Obdachlosigkeit: Übersehen und marginalisiert

Vor allem der „Tunnelblick“ vieler Bayreuther*innen verhindert laut Dehnert ein gesamtgesellschaftliches Verständnis unter den Bürger*innen. Die Studierenden-Bubble, Beamt*innen und finanziell Bessergestellte sowie Arbeiter*innen und Angestellte: Zwischen diesen drei Bevölkerungsgruppen existiert zu wenig gemeinsamer Gestaltungswille für das Zusammenleben. Das gilt auf zivilgesellschaftlicher Ebene genauso wie auf der politischen, etwa im Stadtrat. Dort wurde ein neues Obdachlosenkonzept zu lange aufgeschoben und zu wenig in sozialen Wohnungsbau investiert. Strukturelle Armut und die daraus resultierende Wohnungs- oder Obdachlosigkeit passen so gar nicht in das Bild von Bayreuth als Wagner-Mekka, Unistadt oder bayerischer Beamten-Heimat – die Probleme werden vor allem ignoriert.

Denn es leben auch in Bayreuth Menschen auf der Straße oder kommen nur notgedrungen bei Bekannten oder Freunden unter. Dabei ist eine statistisch verlässliche Erfassung der Anzahl der Betroffenen nur schwer möglich, da sich viele von ihnen nicht beim Sozialamt melden. Wer das jedoch tut, bekommt eventuell das Angebot, in der Obdachlosen-Unterkunft „Haus Cosima“ unterzukommen. Direkt gegenüber vom Hofgarten gelegen, bietet das Haus Schlafplätze für maximal 21 wohnungslose oder obdachlose Menschen.

Kälte und Infektionsrisiko zwischen geschlossenen Läden

Schon zu Beginn der Pandemie wurde im Haus Cosima ein striktes Hygienekonzept eingeführt, mit Abstandsgebot und dem verpflichtenden Tragen einer Maske. Im Frühjahr musste aufgrund von erhöhter Nachfrage auch ein Aufenthaltsraum kurzfristig zum Schlafraum umfunktioniert werden. Doch die bisherigen Änderungen könnten sich noch vergleichsweise glimpflich herausstellen. So erwartet die Diakonie Bayreuth, dass vermehrt Menschen in Wohnungsnot geraten, sobald die staatlichen Hilfen und die neue Mietregelung nicht mehr gelten. Das Sozialamt der Stadt berichtet außerdem, dass „[…] immer mehr Familien bzw. alleinerziehende Eltern in eine entsprechende Situation geraten […]“.  Das Haus Cosima ist jedoch nicht für Personen mit Kindern oder junge Menschen geeignet, weshalb für sie im Rahmen des neuen Obdachlosenkonzeptes wenigstens zwei neue Wohnungen von der Stadt angemietet werden müssen.

Aktuell macht aber vor allem auch der Lockdown und die Kälte den Obdachlosen in Bayreuth den Alltag noch einmal schwerer. Tanja Gadomsky, Mitarbeiterin im Haus Cosima, erklärt, dass „Angebote wie das Café der Stadtmission, die Stadtbibliothek, oder andere soziale Einrichtungen, sowie Einrichtungshäuser (z.B. Tedi) wegfallen. Auch das Treffen in Gruppen an öffentlichen Plätzen ist untersagt, was den Alltag der Bewohner*innen stark einschränkt.“ Diese öffentlichen Orte sind normalerweise wichtige soziale Anlaufstellen und bieten auch die Möglichkeit sicher Mahlzeiten einzunehmen. Als außerdem während der ersten Welle auch die Tafel geschlossen wurde, verschärfte das die Situation von Obdach- und Wohnungslosen deutlich.

Für Detlef Dehnert ist dabei klar, dass es vor allem an bezahlbarem Wohnraum in Bayreuth fehlt, denn auch hier steigen seit Jahren kontinuierlich die Mieten. Obdach- oder wohnungslos werden vor allem diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen, wie etwa Erkrankungen, Schicksalsschlägen oder Geldnot die hohen Mieten nicht mehr bezahlen können. Das neue Obdachlosenkonzept der Stadt Bayreuth umfasst daher auch das Housing-first-Prinzip, welches verhindern soll, dass von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen überhaupt erst in diese existenziell bedrohliche Situation abrutschen.

Dabei sollte aber nicht verkannt werden: Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit sind in Deutschland strukturelle Probleme, von welchen insbesondere auch junge Menschen und Geflüchtete bedroht sind. Grund dafür sind vor allem fehlende „leistbare Kleinwohnungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und zu niedrige Finanzierung sozialer Wohnungspolitik“, so die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

Auch Bayreuth sollte nicht vergessen, dass mehr zu einer für alle gleichermaßen lebenswerten Stadt, gehört als Universität, wilhelminische Prunkstraßen und fränkische Küche. Um die Problematik von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Bayreuth zu entschärfen, liegt es an der Zivilgesellschaft und Politik effektiv Solidarität mit denen zu beweisen, die nicht nur während der Corona-Pandemie gerne mal vergessen werden.