Oper ist nicht mein Ding. Der Blick hinter die Kulissen mag das verändert haben. Ein Rundgang durch die Zauberwerkstatt auf dem Festspielhügel.
Von Hanno Rehlinger
Es hat geschneit über Bayreuth. Schnee liegt auf der gewundenen Straße, die zum Festspielhaus hinaufführt, auf dem Park mit den Denkmälern, für verfolgte Künstler während des Nationalsozialismus und Schnee liegt auch auf dem alten Haus selbst, mit seinen Säulen und Dachgiebeln. Der Schnee, dass wissen alle, steht für Ruhe und Vergessen. Die Stadt schläft könnte man hier schreiben. Und tatsächlich schlafen die Bayreuther Festspiele dieses Jahr. Das erste Mal seit 1951 sind die Festspiele komplett ausgefallen. Den meisten von uns ist das aber wohl kaum aufgefallen, meinen Freunden, die nicht in Bayreuth leben, ganz sicher überhaupt nicht.
Herr Herrmann, der Pressesprecher, nimmt uns beim Bühneneingang auf der linken Seite des alten Hauses in Empfang. Ein alter Mann hat uns beim Herumirren entdeckt und uns bis zum Bühnen-Eingang geleitet. Er war hier früher Musiker – Geiger nach seinen Gesten zu urteilen: er hebt das imaginäre Instrument und klemmt es zwischen Kopf und Schulter. Heute streift er regelmäßig mit seiner Hündin Brünhilde um das Opernhaus. Die Dame am Bühneneingang kennt ihn schon, hat aber keine Zeit sich mit ihm zu unterhalten.
Hubertus Herrmann führt uns durch 50ger-Jahre Gänge über mehrere Bühnen in den hinteren Teil des Geländes. Die Bühnen, nicht die Hauptbühne, sondern die Hinterbühnen, sehen aus wie riesige Lagerhallen aus einem Orson Wells Film. Schaut man nach oben, sieht man tausende Schnüre, die irgendwo in der Finsternis des Festspieldaches zusammenlaufen und verschwinden. Der Schnürboden ist fast 26 Meter hoch. Aus ihm senken sich die gigantischen Kulissen herunter, wenn es wieder einmal zu einer Vorstellung kommen sollte. Dreiunddreißig Meter Seil mit einer Tragkraft von bis zu 3,4 Tonnen, heben und senken über eine riesige Hydraulikwinde die angestrichenen Holzverschläge, Würstchenbuden, Burgen oder Vorhänge.
Sitzt man im Zuschauersaal ist die Bühne wie ein kleines Fenster in eine andere, fantastische Welt. Steht man aber auf der Bühne, ist es umgekehrt. Die Zuschauer sind ein weit entferntes Fenster und neben, hinter und über einem arbeiten unaufhörlich die unzähligen ArbeiterInnen und Maschinen, um diese fantastische Welt am Laufen zu halten. Der schiere Raum, der hinter dem Vorhang diese Zauberwelt beherbergt, ist um ein Vielfaches größer als der imposante Saal, durch den, in Corona freien Zeiten, die Touristen geführt werden.
Wir laufen vorbei an Tischlerei und Schlosserei zu den Probebühnen. Hier lagern alte und neue Kostüme, Kulissenteile, Möbel, Rüstungen und Geräte. Es gibt insgesamt 7 Probebühnen, damit alle Produktionen gleichzeitig geprobt werden können. Unterm Dach, im Kostümfundus lagern unzählige Requisiten aus vergangenen Inszenierungen. Wer weiß, was noch alles in den Eingeweiden des Opernhauses an Verkleidungen, und Talismanen schlummert. Wahrscheinlich gibt es uralte Kostüme, deren ehemalige Besitzer in ihrer alltäglichen Montur heute selbst verkleidet scheinen würden.
Die Festspiele haben sich, seitdem das Scheinwerferlicht auf diesen Artefakten ruhte, sehr verändert. In der Nazi-Zeit war Bayreuth Kulisse für einige der grausamsten Männer und Frauen der Geschichte. Winifred Wagner sagte noch lange nach fünfundvierzig, sie würde Hitler willkommen heißen, käme er je zurück. Jan S. ein langjähriges Mitglied der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, erzählt, dass sein Vater sich, durch die NS-Zeit geimpft, mit Wagner bis zu seinem Tod nicht anfreunden konnte.
Für Jan S. kahm 1976 die Wende: „Der Jahrhundertring von Patrice Chéreau (Regie) und Pierre Boulez (Dirigent), war der Befreiungsschlag! Als dieser Ring nach 4 Jahren auslief, wurde 2 Stunden lang geklatscht.“ Diese Inszenierung des Ringes, sein 100-jähriges Jubiläum ist eine moderne, kapitalismusfeindliche Interpretation des großen Opernzyklus‘ Wagners. Das Publikum war überrascht, wie passend die Einbettung in ein industrielles Bühnenbild war, wie eindeutig der alte Text diese Interpretation hergab.
Dieses Jahr hätte wieder eine Neuinszenierung des Ringes aufgeführt werden sollen. 2021 sind die SängerInnen ausgebucht und haben keine Zeit schon ab Mai in Bayreuth zu sein (das wäre aber notwendig, um den ganzen Ring zu proben). Deshalb wird nächstes Jahr nur der Fliegende Holländer neu inszeniert. Während spielfreien Tagen aber, bauen die MitarbeiterInnen das aktuelle Bühnenbild ab, damit auch im Sommer der Ring weiter geprobt werden kann.
Wir stehen vor den Lohengrin Kulissen. Manches im Festspielhaus ist streng geheim, aber diese Inszenierung läuft schon seit drei Jahren, wir dürfen also Fotos machen und uns umschauen. Betrachtet man die Kulissen-Stücke, alle in träumerischem blau, oft über 20 Meter lang, wird einem ganz mulmig bei dem Gedanken, dass ein solches Bühnenbild für einen Tag Probe ab-, ein anderes auf- und ab- und das alte wiederaufgebaut werden soll.
Auch die Kostüme der Lohengrin-Inszenierung sind in allen erdenklichen Blautönen gehalten. Neo Rauch und seine Frau Rosa Loy haben jedes Stück selber designed, waren bei den Anproben und den Veränderungen dabei. Dabei braucht allein der über hundertköpfige Chor mehrere Kostümwechsel. Im Festspielhaus wird das ganze Jahr über gearbeitet. Der schiere Aufwand, der hinter einer solchen Inszenierung steht, die dann doch nur einige Wochen im Sommer läuft, ist fast unbegreiflich.
Am Ende des Rundgangs stehen wir wieder draußen im Schnee und gucken hoch. Von vorne sieht das Haus fast beschaulich aus. Der kleine Balkon und die verzierte Außenwand erinnern an ein kleines Stadttheater, oder ein prächtiges Kino. Erst von der Seite, sieht man den riesigen Bühnenboden, der sich weit über den Zuschauersaal erhebt und die vielen Gebäude, die sich hinten, weit weg von den Premiere-Fotografen und Touristenbussen an das Haupthaus anschließen.
Die Oper ist mir fremd. Sie ist als Elitekunst verschrien, als pompös und schwulstig abgetan und das vielleicht nicht ohne Grund. „Es ist natürlich nicht jedermanns Geschmack“, meint Jan. S., „die Geschichten sind absolut abstrus und die Texte im Original sind – das kann man so sagen – lächerlich. Aber wenn man mal darüber hinwegsieht…“. Die Oper ist, dass wird einem klar, wenn man durch die endlosen Hallen des Festspielhauses läuft und links und rechts zu den Kulissen aufstarrt, das größte Spektakel der Welt. Es ist nicht nur die überwältigende Musik, sondern auch die riesigen Bühnenbilder und die vielleicht vielfältigsten Kostüme, die man sich vorstellen kann, die jedes Jahr so viele nach Bayreuth locken.
Dabei sind die Festspiele nicht mehr so elitär, wie ihr Ruf. Karten sind teuer aber für jeden erhältlich, die Leute tragen Jeans bei den Aufführungen und für die Bayreuther Studierenden (allerdings nur die Studierenden) werden Karten für die Generalproben sogar verlost. Auch die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, nimmt junge Mitglieder auf. Für einen verringerten Jahresbeitrag von hundert Euro, kriegt man die Möglichkeit hinter die Kulissen zu schauen und eine verbesserte Chance auf Karten.
Im Moment liegt Schnee auf Bayreuth und – es ist einfach zu verlockend – auf der ganzen Welt. Doch für viele Studierende ist es, als ob immer Schnee über dem Festspielhaus auf dem Hügel läge. Als brauche es gar kein Corona, um die Festspiele zu vergessen. Die Stimmung unter den MitarbeiterInnen – bis zu 800 während der Festspielzeit -, den SängerInnen, Orchester und Chor, Maske und Technik ist traurig. Eine Bühne ist da, um bespielt zu werden, eine Inszenierung, um zu begeistern. Die Künstler und Künstlerinnen wollen nichts mehr als endlich wieder vor den Vorhang. Wann das sein wird, weiß heute noch niemand sicher. Aber wer weiß, vielleicht wird ein junges Augenpaar mehr zu Ihnen aufschauen, wenn er sich das nächste Mal lüftet.
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