Diskurs (un)möglich?

Die Mohrenapotheke in Bayreuth steht in der Kritik, mit ihrem Namen und Symbolen in den Schaufenstern rassistische Stereotypen zu reproduzieren. Apothekeninhaber Dr. Andreas Paul stört, dass keine offene Diskussion möglich sei. Eine Gruppe von Studierenden findet genau diese Ansicht problematisch. Ein Artikel über Deutungshoheit und verhärtete Fronten.

Von Helena Schäfer

Gelegen an einem der zentralsten Plätze Bayreuths trägt die Apotheke an der Ecke zur Sophienstraße seit Anfang des 17. Jahrhunderts den Namen ‚Mohrenapotheke‘. An den Fensterscheiben sind Bronze-Embleme angebracht, die die Köpfe Schwarzer Menschen mit verzerrten Proportionen und manche mit einem goldenen Ring in der Nase darstellen. Seit langem sorgen Name und Symbole für Fragen und Diskussionen.

Das Wort „Diskussion“ wird immer wieder in diesem Artikel auftauchen, oder auch „Diskurs“ oder „Debatte“. Es könnte problematisch sein, die Sache mit der Mohrenapotheke als kontroverse Debatte darzustellen. Noah Sow schreibt in ihrem Buch „Deutschland Schwarz Weiß“, das schon Jahre vor der aktuellen Bewegung Alltagsrassismus in Deutschland thematisierte: „Es besteht bei uns [in Deutschland] die Gepflogenheit, jedes Thema kontrovers zu diskutieren, selbst Themen, bei denen eine ‚Kontroverse‘ automatisch beinhaltet, dass eine Seite der anderen Seite Menschenrechte aberkennt (wie zum Beispiel ‚Hautfarbenbedingte Polizeikontrollen ja oder nein?‘)“. Auch im Falle der Mohrenapotheke wird eine „Kontroverse“ geführt über etwas, das vielleicht gar nicht verhandelbar ist, nämlich die Frage, ob eine bestimmte Bezeichnung diskriminierend ist oder nicht. Zwei Seiten stehen sich jetzt gegenüber: Eine Gruppe an Kritiker*innen, die die Frage für nicht verhandelbar halten und ein Apothekeninhaber, der besagte Kontroverse führen möchte.

Diese Konstellation entstand, als die Kritik an der Mohrenapotheke spätestens im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung eine neue Dimension angenommen hat: In einem Brief an den Apothekeninhaber fordert eine Gruppe aus hauptsächlich Studierenden, die sich gegen rassistische Bezeichnungen und Abbildungen in Bayreuth einsetzen, „die Umbenennung und Umgestaltung der M.-Apotheke“. In einer Stellungnahme an den Falter erklärt diese Gruppe, die sich unter dem Namen „Ohrenprojekt“ formiert hat: „Auch wenn das Wort M. schon vor der Kolonialzeit verwendet wurde, war es immer eine Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen und demnach niemals ein neutraler Begriff. Seit dem 17. Jahrhundert steht die Bezeichnung M. außerdem in direktem Bezug zu Kolonialismus und Versklavungshandel genauso wie die heute verbreiteten Darstellungen als exotisch anmutende Dienerfiguren (man denke an den Sarroti M.) oder edle Wilde. Der Kolonialbezug des Begriffs M. und seiner bildlichen Darstellung ist also unbestreitbar“.[1]

Apothekeninhaber Dr. Andreas Paul sieht sich mit dem Rassismus-Vorwurf zu Unrecht in die rechte Ecke gedrängt. Im persönlichen Gespräch mit dem Falter erklärt er: „Wenn ich es böse verstehen will, bin ich jetzt einer, der Fahne schwingend für die Braunen im Ku-Klux-Klan über die Straßen zieht. Das stimmt einfach nicht.“ Er stört sich an der offensiven Art, mit der er beschuldigt wird. Fragen von Kund*innen und Reisenden nach dem Namen der Apotheke habe es immer gegeben. „Dieses Jahr neu hinzugekommen ist das offensive ‚Du Rassist‘. Da wird nicht groß hinterfragt, wer denn nun genau wie für den Namen verantwortlich ist.“ Neben Briefen, teils nicht unterzeichnet, hingen Schilder an der Tür, er fand Kreidezeichnungen auf der Straße und Schaumküsse an der Fensterscheibe. Paul betont im Gespräch immer wieder zwei Dinge: Einmal, dass für ihn alle Menschen gleich seien: „Es ist mir scheißegal, ob er, sie, es, ob jung oder alt, ob Schwarz, Weiß, das ist mir vollkommen piepe. Mir kommt es darauf an, ob der Mensch ein feiner Kerl ist oder ein Arschloch.“ Zweitens, dass wir in einem freien Land leben und er wie auch die Schaumkusswerfer*innen ein Recht auf freie Meinungsäußerung habe. So sieht er es auch als sein Recht, die Eindeutigkeit des Rassismusvorwurfs anzuzweifeln.

Die Darstellungen der Schwarzen an den Fensterscheiben findet er „diskussionswürdig“. „Ich kann die Kritik bei den Darstellungen sehr gut nachvollziehen.“ Doch auch hier vermisse er eine gewisse Offenheit: „Ich bin trotzdem überrascht, dass hier von Geköpften geredet und immer wieder der Sklavenring zitiert wird. Also wenn ich das schon auf die Pieke treibe, dann kommt nie die Diskussion auf, dass es ein goldener Ring und vielleicht auch traditioneller Schmuck ist, der da dargestellt wird.“

Er sagt auch: „Würde man einen Weißen zu komplett anderer Gegebenheit hinhängen, der unvorteilhaft dargestellt ist, weiß ich nicht, ob ich mich da persönlich angegriffen fühlen würde. Andersherum fühle ich mich jetzt natürlich selbst angegriffen, indem mir ein Vorwurf gemacht wird für etwas, was ich nicht beeinflussen kann, dass nämlich diese Apotheke schon seit sehr langer Zeit so heißt. Genauso wie ein Schwarzer nicht beeinflussen kann, dass er Schwarz ist, ob er es will oder nicht. Das ist vielleicht die größte Parallele, die wir im Moment haben.“ Auch wenn Paul als Inhaber, der die Apotheke nur mietet, nicht alleine über eine Entfernung der Symbole entscheiden kann, bleibt die Parallele hier sehr zweifelhaft. Andere Mohrenapotheken benannten sich in den letzten Jahren um. Erst in diesem Sommer, angeregt durch die ‚Black Lives Matter‘-Bewegung, gab eine gleichnamige Apotheke in Kiel ihre Umbenennung bekannt. Zudem wird Rassismus in der wissenschaftlichen Diskussion oft als ein von Weißen gegen Schwarze historisch gewachsenes Konstrukt verstanden, das weder umgedreht werden kann noch vergleichbar damit ist, dass jemand unvorteilhaft dargestellt wird. Die Bayreuther Professorin Susan Arndt schreibt zum Beispiel in ihrem Buch „Die 101 wichtigsten Fragen – Rassismus“: „Weißsein ist ein kollektives Erbe des Rassismus. Es geht weder um Schuldzuschreibungen noch um Sühne, sondern darum, anzuerkennen, dass Rassismus – analog zum Patriarchat im Falle der Geschlechterkonzeptionen – ein komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen hervorgebracht hat, das uns sozialisiert und prägt.“

Auf die Frage, ob er die Kritik auch bei der Namensgebung verstehen könne, sagt Paul: „Da ich nicht mit der schwarzen Hautfarbe geboren bin und Rassismus nicht permanent erlebt habe, kann ich das auf einer emotionalen Basis nur versuchen nachzuvollziehen, ich kann es aber nicht verstehen, weil ich diese Erfahrung nicht habe. Bei der Namensgebung fällt es mir tatsächlich schwer, den emotionalen Part zu teilen.“ Paul will zur Klärung des Vorwurfs an ihn auch auf die Wortherkunft schauen. Während das Wort „Mohr“ nicht eindeutig geklärt werden könne, so Paul, sei es bei Mohrenapotheken ziemlich sicher, dass der Name sich auf die Mauren, also Menschen aus Mauretanien, beziehe: „Sie standen dafür, dass man im Morgenland eine hochwertige, überlegene Medizin in einer Zeit hatte, wo bei uns Aderlass, gelbe Galle, schwarze Galle das Nonplusultra waren und, ich glaube, mehr Leute an der Medizin gestorben sind als geheilt wurden.“ Zu dem Argument, die Bezeichnung der Apotheke sei nicht diskriminierend, sondern eine Ehrung der ‚maurischen Medizin‘, sagen die Mitglieder des Ohrenprojekts: „Historisch gesehen ist der Name eher als Exotisierung anstatt als Ehrung zu verstehen. Die Figur des M. steht stellvertretend für fremde, exotische Wunderheilmittel. Desweiteren nehmen die Darstellungen im Schaufenster in keinerlei Weise Bezug auf irgendeine Form der Heilkunst, geschweige denn auf die ‚maurische Medizin‘. Wir empfinden es als absurd, kolonial-rassistische Darstellungen als Zeichen für eine Apotheke zu verwenden und dies anschließend als Ehrung Schwarzer Menschen zu interpretieren.“ 

Neben dem Hinweis, der Name der Apotheke sei nicht eindeutig rassistisch, verfolgt Paul auch eine Argumentationsstrategie, die eher zu jemandem passen würde, der den Namen seiner Apotheke  tatsächlich für rassistisch hält: „Verbannen und aus Stein rausmeißeln und aus Büchern tilgen, finde ich einen schlechten Weg. Steine des Anstoßes sind notwendig, damit man eben nicht vergisst, dass man sich dran stößt, um die Diskussion beizubehalten, um eben nicht wieder in dieselben Fehler rein zu tappen, die gemacht wurden.“ Das Ohrenprojekt kritisiert, dass zurzeit gerade diese kritische Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus fehle: „Es werden koloniale Bezüge und die Reproduktion von Rassismus geleugnet. Wir sehen die Namensänderung nicht als Selbstzweck, sondern als Teil einer breiteren Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialgeschichte in Bayreuth. Somit sollte es in einem größeren Kontext darum gehen, wie wir als Gesellschaft mit unserer rassistischen Prägung, unserem rassistischen Erbe umgehen können.“

Paul weist auch immer wieder auf den hohen und rechtlich komplexen Aufwand hin, der mit einer Änderung des Namens verbunden wäre. Er erklärt, dass das Haus unter Denkmalschutz und der Apothekenname in seinem Mietvertrag stehe und damit auch seine Apothekenbetriebserlaubnis an ihn geknüpft sei. Das Hauptproblem hierbei sei, dass Paul die Räumlichkeiten der Apotheke nur mietet und der Eigentümer das letzte Wort über Änderungen am Haus habe. Mit diesem sei er im Gespräch, die Sache müsse allerdings mit Fingerspitzengefühl angegangen werden: „Ich weiß im Moment einen Gesprächsstand, den ich aber erstmal nicht weitergeben möchte, weil da zu viel dranhängt.“

Er beschäftige sich jedenfalls damit, die „Problematik zu würdigen“: „Wir sind sehr wohl am überlegen, wie wir das historisch und mit Bezug auf die Rassenproblematik professional ausarbeiten. Ich weiß nicht, was dann am Schluss dabei rauskommt. Vielleicht bin ich ja der weltgrößte Rassist, ich hab’s bloß bis jetzt nicht gewusst. Vielleicht kommt durch die Diskussion angeregt in zwei Jahren raus, dass das Wort ‚Mohr‘ tatsächlich in Deutschland per Gesetz überall getilgt werden muss.“ Nach aktuellem Stand werde er versuchen, in und an seinem Laden und in schriftlicher Form, Informationen bereitzustellen, sodass diejenigen, die sich an dem Begriff stören oder die sich dafür interessieren, eine Antwort bekommen. Paul hofft, das Problem auf diese Weise lösen zu können: „Ich glaube, wenn die Symbole nicht einfach nur Deko oder Marketing sind, sondern in einen Kontext gesetzt und entsprechend beleuchtet werden, dann hätten etliche Menschen weniger Probleme damit.“

Ein tief sitzendes Problem scheint für Paul die offensive und konfrontative Art der Rassismus-Beschuldigung zu sein: „Mich stört, dass die, die mir da was um die Ohren gehauen haben, vorher nicht persönlich mit mir gesprochen haben, um vielleicht auch meine Historie und meine Gedanken zu verstehen. Jeder kann seine Meinung frei äußern, es nervt bloß, wenn ich merke, dass gar keine offene Diskussion möglich ist. Es wird die Deutungshoheit an sich genommen, was wie zu interpretieren ist und beschlossen, du als Betreiber bist Rassist.“ Paul sagt selbst, dass er als Weißer die Erfahrung des Rassismus nie gemacht habe. Auf den Einwand, dass er deshalb denen, die sagen, sie empfänden den Namen als verletzend oder diskriminierend, vielleicht die Deutungshoheit zugestehen müsse, anstatt zu versuchen, den Begriff selbst einzuordnen, sagt Paul: „Mit Verlaub, das sehe ich etwas anders. Ich finde, dass eine gemeinsam getragene Meinung dann gut ist, wenn sie wirklich gemeinsam getragen wird, und wenn man gemeinsam feststellt, dass das entweder die wahrscheinlichste oder die beste oder die mit dem größten Konsens ist.“ Zurzeit sieht er sich von einer gemeinsam getragenen Meinung weit entfernt: „Ein plumpes ‚Benenn dich um!‘ kann man fordern, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Dann kann ich auch sagen: ‚Nein.‘ Vorwürfe muss ich tolerieren, das ist ein freies Land, ich muss halt nur nicht derselben Meinung sein.“

Die Mitglieder des Ohrenprojekts kritisieren genau diese Ansicht. Sie finden es problematisch, wenn die Debatte als „ihre Meinung“ gegen „die Meinung des Apothekers“ geführt wird. Nach ihnen dürfte es gar keine Debatte in diesem Sinne geben: „M. ist eine eindeutig rassistische Bezeichnung, welche auch im Duden als ‚heute diskriminierend‘ beschrieben wird. Dass nun Weiße Menschen darüber diskutieren und meinen, entscheiden zu können, was rassistisch sei und was nicht, ist eine typische Abwehrreaktion gegen die Thematisierung von Rassismus und somit selbst Ausdruck eines rassistischen Machtverhältnisses innerhalb der deutschen Gesellschaft.“  

Weit entfernt von einem fruchtbaren Diskurs darüber, wie es weitergehen soll, haben sich verhärtete Fronten gebildet: Eine Gruppe Studierender, die sich wissenschaftlich fundiert gegen Rassismus im Alltag und Stadtbild einsetzen möchte, dabei aber darauf beharrt, dass die Thematik an sich nicht zur Debatte stehen könne und damit Ärger und Kränkung beim Beschuldigten hervorruft. Ein Apotheker, der die Situation einer „Nicht-Diskussion“ beklagt, gleichzeitig aber wenig Einsicht dafür zeigt, dass rassistische Strukturen auch unbewusst über den Namen seiner Apotheke weitergetragen werden können. Einige Fragen bleiben offen: Wie können sich Kritiker*innen und Namensverfechter auf Augenhöhe begegnen? Kann ein Diskurs über die nächsten Schritte überhaupt geführt werden, wenn schon keine Einigung über die Ausgangslage besteht? Sollte Protest sich überhaupt an der Möglichkeit eines Diskurses orientieren? Lässt sich in dieser Sache ein gemeinsamer Nenner finden und wenn ja, wie?


[1] Anmerkung: Das Ohrenprojekt wollte sich dem Falter gegenüber nicht in einem direkten Gespräch äußern, da sie sich als Kollektiv verstehen und somit keine Person in den Vordergrund stellen wollen. Außerdem finden sie die Debatte im Sinne ‚ihre Meinung‘ gegen ‚die Meinung des Apothekers‘, problematisch. Dazu mehr im Artikel.