Auf den Spuren einer Subkultur, die sich vor mir entblößte
Als ich das erste Mal von einem Swinger-Club hörte, dachte ich in aller kindlicher Naivität, dass dies ein Ort ist, an dem sich extrovertierte Menschen treffen, um dort gemeinsam zu Jazz zu „swingen“, also zu tanzen. Das Etablissement nennt sich schließlich auch Club. Vor Kurzem wurde ich während eines Gesprächs eines Besseren belehrt. Eine Bekannte erzählte mir von Menschen aus ihrem Umfeld, die in der Swinger-Szene aktiv sind. Schockiert hat mich das nicht, denn ich kannte ja nicht einmal die Definition eines solchen Clubs. Für alle denen es hierbei genauso geht: Ein Swingerclub ist ein „Lokal, in dem Personen die Gelegenheit zu Gruppensex, Partnertausch und dergleichen geboten wird“. Falls ihr neugierig geworden seid, konsultiert Wikipedia oder lest einfach weiter.
Aber wer besucht sowas? Verzweifelte Singles mit Fetisch? Gelangweilte Ehemänner, die Abwechslung wollen? Oder doch Leute wie Michaela, Mutter von zwei Kindern. Sie arbeitet tagsüber im medizinischen Bereich und ist abends ab und zu Gast in Swingerclubs. Da sie mit ihrem Partner schon immer offen über Sex reden konnte, kamen sie darauf, dass sie gerne „neue Wege“ beschreiten würden. Der erste Kontakt mit der Swinger-Szene war in ihrem Fall eine Poolparty im Freien. Tagsüber. Was sich für manch einen befremdlich anhören mag, erschien in diesem Augenblick wie das Normalste der Welt. Etwa 250 Personen im Alter von 20 bis etwa 70 Jahren waren an diesem Nachmittag anwesend. „Es ging um 16.00 Uhr los. Als wir dort ankamen, waren alle schon voll im Gange (mit dem Grillen).“ Es herrschte eine freundliche und lockere Stimmung. „Erst als es langsam dämmerte, ging es dann tatsächlich los. Auf dem ganzen Gelände – außer im Pool, da sonst die Pumpe verstopfen würde – näherten die Menschen sich einander und hatten schließlich Sex. Zu zweit, dritt, viert… “
Michaela berichtet nüchtern, wie sie es fand, als ihr Partner einmal mit einer anderen Frau vor ihren Augen Sex hatte. Von Eifersucht war keine Spur. „Erst durch Erfahrung gelang es mir, Sexualität von Liebe zu trennen. Natürlich ist die Voraussetzung, dass das gut geht, eine gefestigte Beziehung. Ich kenne viele Paare, die sich von der Swinger-Szene erhoffen, dort ihre kaputte Beziehung zu retten. Das geht dann meistens schief.“
Auf welche Paaren sie sich einlassen, entscheiden die beiden meist spontan. Vom „Schnitten-Fritten“-Prinzip wird Gebrauch gemacht, wenn ein Partner unglaublich sympathisch (Schnitte), der andere aber kein bisschen ansprechend ist (Fritte). „In solchen Fällen ist es wichtig ein Nein zu äußern. Das wird respektiert und ist entscheidend für einen respektvollen Umgang.“
Das klang nicht nach Orgie. Sind Swinger denn wirklich so rational? Vielleicht muss man das einfach selbst herausfinden. Als wir am Club ankommen, dringt rotes Licht unter dem Türrahmen hindurch. Ich klingele an der Türe und ein Mann, bekleidet mit einer weißen Unterhose und gleichfarbiger Krawatte, heißt uns zur Mottonacht willkommen: „Ist euer erstes Mal, ne?“ „Ist das so offensichtlich?“, antworte ich. „Zwischen uns herrscht ein immenser Altersunterschied und naja… du trägst als Frau nen Rollkragenpullover.“
Wir betreten einen in Schwarzlicht getauchten Raum, wobei sich alle Blicke auf einmal uns widmen. Das Licht lässt die weiße Kleidung der Gäste im Dunkeln erstrahlen, wobei ihre Gesichter unkenntlich bleiben. Es ist ein beklemmendes Gefühl, das diese anonyme Menschenmenge bei uns beiden auslöst. Zwischen den Silhouetten schleichen wir in einen anderen Raum. Dem Buffet. Zeit zum Verschnaufen.
Danach gehen wir in das erste Stockwerk. Es ist ein warmes Licht, das den Flur rot strahlen lässt. An den Seiten befinden sich Türen zu verschiedenen thematisch eingerichteten Zimmern. Wir stoßen auf eine Telefonzelle, hinter der sich ein Raum befindet, indem gerade zwei Menschen Sex haben. Ein Paar gesellt sich zu ihnen und unterhält sich während des Akts. Wir huschen weiter, denn wir fühlen uns nicht wohl in der Rolle der Voyeure. Als wir den SM-Raum betreten, liegen vor uns zwei nackte Paare, mit denen wir ein Gespräch beginnen. Die Szene erinnert an eine Sauna. Sie erzählen uns von ihrer freien Auslebung der Sexualität. Jeder komme hier auf seine Kosten, wobei niemand zu etwas gezwungen würde. Ein Nein werde hier sehr großgeschrieben, da sind sich alle einig. Nur vor „Herrenüberschuss“-Partys sollen wir uns in Acht nehmen.
Wir gehen wieder zum Tanzraum. Sie tanzen, lachen und feiern ausgelassen mit uns. Man fühlt sich frei und erleichtert. Dass keiner über einen herfällt und einen in ein Zimmer schleppt. Dass Menschen einen nicht gegen den eigenen Willen nötigen. Im Gegenteil: Wir trafen noch nie auf derart hilfsbereite Menschen, die so offen über Sexualität sprachen. Als Durchschnittsbürger kann man wegen ihres liberalen und aufgeklärten Umgangs mit Sex viel von ihnen lernen. Da dieses Thema jedoch immer noch hinter verschlossenen Türen bleibt, müssen das die Swinger zwangsweise wohl auch.
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