Die Justizvollzugsanstalt Sankt Georgen liegt an der Markgrafen Allee Nummer 47. Hier leben bis zu 900 Gefangene hinter Gittern. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man in seine Zelle tritt und weiß: Das ist jetzt mein Leben?
Von Hanno Rehlinger
„Wir sind hier ja sozusagen eine kleine Gemeinde und ich bin dann der Bürgermeister“, erklärt der Justizvollzugsanstalts-Leiter. In seinem Büro steht der Text von Hannes Waders „Heute hier, morgen dort“, schön kalligraphiert von einem alten Kollegen. Eine Landstreicher-Hymne. Herr Konopka ist verantwortlich für 900 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Sankt Georgen.
Die Anstalt beherbergt Gefangene jeglicher Vergehens-Grade. Von ein paar Monaten bis zu Jahrzehnten Strafmaß ist alles dabei. Der Zuständigkeitsbereich der drittgrößten JVA Bayerns geht bis nach Ingolstadt. Für Angehörige oft ein schweres Los.
Im Internet findet man Beschreibungen der brutalen Prozeduren, denen die Gefangenen im 18. Jahrhundert, als die Anstalt gegründet wurde, ausgesetzt waren. So wurden die neuen Gefangenen damals angeblich mit gefesselten Händen an die Willkommenssäule gehängt und ausgepeitscht.
Heute ist alles anders. Die Broschüre der JVA Bayreuth liest sich fast wie eine Werbung. Die Rede ist von kompetent- und leistungsfähigem Personal. Die Ausbildungs- und Freizeitangebote werden gelistet und mit schönen Fotos unterlegt. Wächter gibt es keine, die gibt es nur im Zoo. Heute gibt es Justizvollzugsbeamte. Es gibt auch keine Zellen, sondern Hafträume. Nur die Gefangenen bleiben auch in der Justizvollzugsanstalt Gefangene.
Das gesetzlich festgeschriebene Ziel der deutschen Gefängnisse ist die Resozialisierung. Und in der Tat wird alles daran gesetzt, die Gefangenen auf ein Leben ohne Gitter vorzubereiten. Man kann zwanzig unterschiedliche Ausbildungen machen, in den Chor gehen, zur Berufsschule und bei guter Führung auch raus in die Welt.
Wir werden durch zwei Betriebe und einen Zellenblock geführt. Überall hängen Fotos von nackten Frauen. Und nicht die gemäßigte Variante mit überkreuzten Beinen, die man in manchen Autowerkstätten findet. Die Männer pfeifen uns aus den Fenstern hinterher, vor allem der Fotografin. Drei Stunden Besuchszeit pro Gefangenem im Monat, die sie auf bis zu drei Personen aufteilen können. Zu Corona-Zeiten eine Stunde, eine Person. Natürlich immer unter strengster Beobachtung. An Sex ist also nicht zu denken. Und auch Küssen ist wohl anders unter fremden Augen.
Begleitet von den Justizvollzugsbeamten werden wir in die abschließbaren Büros geführt und lassen uns von den Betrieben und ihren Erfolgen erzählen. Hauptthema sind die neuen Maschinen und Aufträge. Acht Stunden am Tag müssen alle arbeiten. Die Gefangenen bekommen zwischen 80 und 140 Euro im Monat. Davon dürfen sie 4/7 ausgeben (man kann Bestellungen aufgeben) und 3/7 werden zwangsgespart, für später.
Der Alltag scheint freundlich. Die Beamten werden gesiezt und keiner, den wir fragen, kann von irgendeinem Vorfall berichten. Die Werkbetriebe zu führen, sei auch nicht groß anders als draußen. Die Männer bewegen sich frei in der Schreinerei, benutzen die lange Messer und sägen und arbeiten Schulter an Schulter mit den Aufsehern. Sie zeigen uns, was sie machen, sind ausgesprochen höflich und halten dabei Abstand. Der einzige Unterschied scheint zu sein, dass am Abend die Messer gezählt werden.
Auf die Frage an die Beamten, ob sie sich schlecht fühlen, wenn sie abends nach Hause gehen, folgt das prompte: Nein, wieso, ich darf doch. Ein kollegiales Verhältnis wird und darf sich nicht einstellen. Keine Bevorzugung, zu viele Gefangene haben schon Beamte überredet, ihnen etwas von draußen mitzubringen. Sie dürfen nichts erzählen, nicht von ihrer Familie oder ob sie im Urlaub waren. Angst haben die Beamten keine. Dann wäre das auch der falsche Job, sagen sie.
Uns wird eine Zelle gezeigt. Die Fotos an der Wand, die Taschentuchbox auf dem Nachttisch, der Rasierschaum und das Klo. Wir können uns umschauen, die Zellen werden eh täglich kontrolliert. Es wird nach verbotenen Gegenständen oder Manipulationen gesucht. Manchmal ist dann eine Fliese gelockert worden, so dass man dahinter eine Kleinigkeit verbergen kann.
Wir stehen in der Küche, flankiert vom Vollzugsanstaltsleiter und zwei Justizvollzugsbeamten. Eine Gruppe Gefangene macht Döner, eine andere kocht Bulgur. Um zum Waschbecken zu kommen, gehen sie aus der Tür raus und hinten wieder rein, weil der direkte Weg sie an uns vorbeigeführt hätte. Vielleicht dürfen sie das nicht. Gemeinschaftsräume außer der Küche werden wenig benutzt. Die Gefangenen sitzen zusammen in ihren Zellen. In ihren Zellen wurden letztes Jahr auch zwei Gefangene tot aufgefunden. Am einzigen Ort in der Justizvollzugsanstalt, an dem keine Kamera aufzeichnet.
„Deshalb is okay, wenn das Leben ihm ne Pause gibt. N bisschen Zeit zum Überlegen einfach aus Prinzip“ rappt Sido in seinem Song „Striche zählen“. Und wirklich, es scheint, als hätte der Staat in dem Leben seiner Gefangenen einfach einen Pause-Knopf gedrückt. Ein, zwei, fünf – vielleicht zwanzig Jahre folgen sie einer Routine. Um sieben fängt Arbeit an. 15:30 Schluss. Eine Stunde Hofgang, dann Freizeitaktivitäten oder Freigang im Zellenblock. Um 18:45 absoluter Einschluss. Ein Tag wie der andere, bis es dann irgendwann zurück in das Leben draußen geht. Doch auch Hannes Waders „Heute hier, morgen dort“, endet auf dem traurigen Satz: „So vergeht Jahr um Jahr, und es ist mir längst klar, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.“
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