Maya Olah hat Sprach- und Literaturwissenschaften und im Nebenfach Ethnologie studiert. Seit sie ein Kind ist schreibt sie literarische Geschichten. In den letzten Jahren hat sie mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht, 2019 war sie Stipendiatin des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs und erhielt von ihrer Heimatstadt St. Gallen ein Schreibstipendium in Berlin.
Du hast letztes Jahr ein Schreibstipendium für einen sechsmonatigen Atelieraufenthalt in Berlin bekommen. Wie hast du die Zeit genutzt?
Kurz bevor ich mein Stipendium begonnen hat, habe ich meine Masterarbeit abgegeben und ich musste mich erst mal erholen. Ich wollte den Sommer genießen, weil ich schon Angsteinflößendes vom Berliner Winter gehört habe, ich hatte viel Besuch und wollte mich einleben. Aber sonst habe ich auch viel geschrieben. Ich habe mit meinem ersten Roman begonnen, habe endlich ein Traumtagebuch geführt, habe geübt, luzid zu träumen, das wollte ich schon immer mal machen, und einige Kurzgeschichten geschrieben. Die Kurzgeschichten, die während dieser Zeit entstanden sind, habe ich auf einer Abschlusslesung vorgestellt und ein Text wurde in der Lesereihe „books without covers“ von einem Schauspieler vorgelesen.
Ist es schwer in einer bestimmten Zeit etwas schreiben zu „müssen“?
Für das Stipendium musste ich nichts abgeben oder nachweisen. Zwar habe ich mich mit einem Projekt beworben, aber es wurde nicht überprüft, ob ich es eingehalten habe. Ich hatte enorm viel künstlerische Freiheit, das war toll, aber es war manchmal auch gefährlich. Der Rahmen ist ein anderer, wenn man nur Zeit zum Schreiben hat. Vieles von dem, was ich in Berlin geschrieben habe, werde ich nicht für den Roman verwenden. Das hat mich zuerst gestresst, da ich diese Periode unbedingt nutzen wollte, weil ich wusste, dass es danach schwieriger wird, so viel Zeit zu haben. Ich musste mich aber erst mit dem Prozess vertraut machen, einen längeren Text zu schreiben. Das funktioniert anders, als eine Kurzgeschichte oder ein Hörspiel. Szenen durchzuspielen und wieder zu verwerfen, gehört zum Entstehungsprozess. Während des Stipendiums habe ich bemerkt, dass mir das Schreiben eher gelingt, wenn ich ein bestimmtes Zeitfenster habe, das ich dann nutzen muss. Daher habe ich in Berlin versucht mir einen gewissen Alltag zu konstruieren.
Die Literaturbranche ist wie die meisten kreativen und künstlerischen Berufsfelder ein umkämpftes Feld, fühlst du dich dadurch manchmal unter Druck?
Die Konkurrenz in der Literaturbranche ist mir eigentlich erst in Klagenfurt rund um den Bachmannpreis bewusst geworden, wo sich der halbe Literaturbetrieb trifft. Vor den Tagen der deutschsprachigen Literatur findet ein sogenannter Literaturkurs statt. Dazu werden 8 deutschsprachige Stipendiat*innen eingeladen, die dort ihren eingereichten Text mit erfahrenen Autor*innen besprechen und ihn dann an einer Lesung vortragen. Danach können sie als Gäste beim Bachmannpreis dabei sein. Bei unserer Abschlusslesung der Stipendiat*innen ist mir zum ersten Mal bewusstgeworden, dass die Leute nicht nur die Texte, sondern auch die verschiedenen Autor*innen miteinander vergleichen. Darüber habe ich mir vor dieser Erfahrung nie richtig Gedanken gemacht.
Die Digitalisierung und Onlinehändler machen es vielen Verlagen schwer auf dem Markt mitzuhalten. Wie stehst du zu der Entwicklung?
Ich bin ein Freund der Digitalisierung! Ich denke, dass die Literaturbranche die Möglichkeiten mehr nutzen sollte, die durch digitale Medien entstehen. Gerade im Lockdown ist das Potential der virtuellen Welt zum Vorschein gekommen und wurde von Literat*innen genutzt. Die Literatur hatte sich bisher eher aus neueren Präsentationsmedien rausgehalten. Literarizität kann aber auch auf digitalen Medien ausgedrückt werden. Ich finde Podcasts, künstlerische Buch-Trailer oder Fotos in Kombination mit Literatur sehr interessant. Es gibt so viele Möglichkeiten einer Vermittlung von Literatur, die man unbedingt nutzen sollte. Ich denke, dass die Digitalisierung den Literaturbetrieb zum Umdenken gezwungen hat, dies ist durch den Lockdown beschleunigt worden. Aber was ich kritisch sehe, ist die Flut der Publikationen. Durch die Möglichkeit, selbst Texte zu verlegen, fehlt auch eine Qualitätskontrolle.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe schon immer sehr viel gelesen und als Kind angefangen Gedichte zu schreiben, später dann Kurzgeschichten. So genau weiß ich nicht mehr warum. Ich kann mich aber an mein erstes Gedicht erinnern. Das ist eine etwas kitschige Geschichte (lacht), als eine Fledermaus in mein Zimmer geflogen ist und ich sie lange nicht dazu bringen konnte, wieder herauszufliegen, habe ich ein Gedicht darüber geschrieben. (lacht) Ich habe dann auch Geschichten meinen Klassenkameraden vorgelesen und irgendwie habe ich dann nie damit aufgehört.
Was ist das Schreiben für dich?
Schreiben ist für mich eine Art Rückzugsort, wo ich mich vergewissern kann und Zeit für Gedanken habe.
Wodurch wirst du inspiriert?
Das alltägliche Leben und der Kontakt und Austausch mit Menschen. Ich denke Orte und Menschen sind für mich ausschlaggebend. Der aktuelle Roman spielt an einer Tankstelle, ich finde Autobahn-Raststätten als Transitort sehr interessant.
Hast du einen persönlichen Mentor?
Als ich 2016 den Schreibwettbewerb der Solothurner Literaturtage gewonnen habe, war ein Teil des Preises, dass ich mit einer Lektorin über meine Texte sprechen konnte. Sie konnte sehr genau sagen, woran es lag, wenn ich an einem Text nicht weiterkam oder was meinen Schreibstil vor allem ausmacht. Mit ihr habe ich heute noch Kontakt.
Welches literarische Werk hat dich bisher am meisten beeindruckt?
Ein klassisches Werk, das mir jetzt einfällt, ist „Malina“ von Ingeborg Bachmann. Die Sprache hat mich gleich in den Bann gezogen und habe trotz der turbulenten Erzählstruktur das Buch nicht weglegen können. Und das zweite ist „Warum das Kind in der Polenta kocht“ von der schweiz-rumänischen Schriftstellerin Aglaja Veteranyi. Darin hat mich die simple, aber sehr treffende Sprache berührt. Ansonsten lese ich gern österreichische Literatur, weil sie so schön morbid, aber auch lustig ist. Beim Schreiben denke ich nie an andere Werke, aber wahrscheinlich beeinflussen sie mich unbewusst.
Ich finde deine Erzählungen vermitteln oft ein sehnsüchtiges, melancholisches Gefühl und gleichzeitig aber auch eine distanzierte und neutrale Haltung. Welches Gefühl dominiert bei dir, wenn du schreibst?
Mir haben viele schon gesagt, dass meine Texte oft ein melancholisches Gefühl übermitteln. Ich selbst fühle mich beim Schreiben nie traurig, aber ich wähle oft Figuren aus, die scheitern, oder die gewisse Erwartungen haben, die dann nicht eintreffen. Mir ist es aber wichtig, dass ich die Figuren ambivalent gestalte und Szenen verschieden wahrgenommen werden können, daher kommt wohl der Eindruck, ich hätte eine neutrale Haltung. Ich fände es sehr bevormundend, wenn ich die Charaktere überzeichnen und nur eine Lesart anbieten würde.
Ich finde es beeindruckend, dass deine Kurzgeschichten einen großen Wiedererkennungswert haben. Hast du auch schon andere Genres ausprobiert?
Momentan versuche ich mich an der längeren Prosaform, ich schreibe immer wieder Kurzgeschichten, Gedichte habe ich hingegen nur als Kind verfasst. Einen szenischen Text habe ich bei meinem Hörspiel „Blutmondnacht“ oder „In dieser Nacht, der Sturm“ ausprobiert.
Schreibst du nur zu bestimmten Uhrzeiten?
Ich versuche jeden Tag zu schreiben, entweder kurz am Morgen oder vor dem ins Bett gehen. Nachmittags gelingt es mir nicht.
Wie sieht dein Arbeitsplatz aus?
Ich arbeite oft woanders, dafür brauche ich ja nur mein Notizheft und mein Laptop. Es ist aber gut, wenn ich Aussicht habe. Mit Blick auf eine weiße Wand könnte ich nicht Schreiben. Die erste Fassung verfasse ich handschriftlich, dann übertrage und ergänze ich es auf den Laptop.
Gibt es etwas das auf keinen Fall fehlen darf zum Schreiben?
Block und Papier, nur digital geht bei mir nicht.
Schreibst du Tagebuch?
Ja, aber unregelmäßig, momentan ist es eher ein Traumtagebuch.
Was ist ein Projekt, das du noch unbedingt machen möchtest?
Es gibt noch zwei größere Projekte, die ich noch unbedingt angehen möchte, beide haben mit meiner Familiengeschichte zu tun. Meine Großmutter ist ungarische Jüdin und Holocaust Überlebende. In der Geschichte der Shoah ist es üblich, den Nachnamen zu wechseln, also nichtjüdisch klingen zu lassen und die Vornamen, der ortsüblichen Aussprache anzupassen. Man ist jemand, der man nicht sein darf, das versucht man dann über den Namen zu ändern. Ich würde mich gerne mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern Namen mit der Identität des Menschen verbunden sind. Beim zweiten Projekt geht es um den Bürgerkrieg in Guatemala. Während dieser Zeit wurde unter dem diktatorisch regierenden Präsidenten Ríos Montt ein Genozid an der indigenen Bevölkerung verübt. Viele Menschen verschwanden in dieser Zeit spurlos, ihre Leichen wurden bis heute nicht gefunden. Ich habe durch meine Mutter, die aus Guatemala stammt, selbst einen Bezug zu dem Land und erlebt, wie die Menschen noch heute damit umgehen. Bei vielen ist es, als ob sie mit Geistern leben würden und es kommt manchmal auch vor, dass sie darüber sprechen einen totgeglaubten Verwandten beim Einkaufen auf dem Markt gesehen zu haben. Dieses Umhergehen mit Phantomen würde ich gern nachgehen.
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