Meinungsfreiheit in Krisenzeiten

Warum Orwell gerade jetzt wieder gelesen werden muss.

„If liberty means anything at all, it means the right to tell people what they do not want to hear” sind die abschließenden Worte in George Orwells Vorwort zu seiner satirischen Fabel Animal Farm. Worte, die zu jener Zeit durch die Ablehnung mehrerer Verleger das Buch zu veröffentlichen, nur verstärkt wurden. Worte, die auch in den letzten Monaten wieder ihre Aktualität gezeigt haben.

Freie Meinungsäußerung und im speziellen die Freiheit der Presse sind Privilegien, die für jede Demokratie grundlegend sein sollten. Dass man um ihre praktische Existenz stetig kämpfen muss, war Orwell nur zu sehr bewusst. In Essays wie „The Prevention of Literature“ erkennt er die Einschränkungen dieser Freiheiten nicht allein in der mitunter tatsächlichen Verfolgung von Journalisten, sondern ebenso in der politischen Integrität der Schriftsteller und ihre Verzerrung durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren. Orwell nennt hier neben der Tatsache, dass die Medien einer Hand voll mächtigen Personen gehören, der Angst vor der öffentlichen Meinung auch „the unwillingness of people to buy books“ – was also kein allein modernes Phänomen zu sein scheint.

Die Angst vor dem Verlust dieser Integrität und der Möglichkeit seine Meinung frei zu äußern, spürt man unausweichlich in jeder gelesenen Seite von Nineteen Eighty-Four. In seinem wohl berühmtesten Buch lässt Orwell den autokratischen Staat Ozeanien eine Sprache entwickeln, die es dem Sprecher unmöglich machen soll frei zu denken und somit jede kritische Äußerung zu unterbinden. Die Gedanken, die dem Newspeak zugrunde liegen, findet man schon in Orwells’ Essay „Politics and the English Language“. Hier schreibt er, dass wenn Gedanken die Sprache korrumpieren können, auch das Gegenteil der Fall sein muss. Insbesondere den Gebrauch von Euphemismen zur Vertuschung unangenehmer Wahrheiten sieht er als bezeichnend für die Sprachkorruption seiner Zeit. Orwell erkennt: „The great enemy of clear language is insincerity”. Doch Euphemismen wie „Kollateralschäden“ oder „Pazifizierung“ werden auch heute noch benutzt, um Dinge zu benennen, ohne ein konkretes Bild im Kopf des Lesers hervorzurufen.

Auch die Auswirkungen des Corona-Virus scheinen von einer Veränderung der Sprache geprägt zu sein. Jens Spahn spricht von einer „neuen Normalität“, Emmanuel Macron erklärt dem Virus den Krieg und in Brasilien bezeichnet Jair Bolsonaro Coivd-19 als harmlose Grippe.

Für Orwell ist es die Aufgabe der freien Medien diese Sprachmanipulationen aufzudecken und sich der Korruption der eigenen Sprache zu entziehen. Doch die Freiheit der Presse steht gerade in Zeiten der Pandemie mehr unter Druck denn je. In Ungarn bedroht der Staatspräsident, mit Hilfe von Notstandsgesetzen, die Verbreitung falscher Informationen über die Corona-Pandemie mit bis zu fünf Jahren Gefängnis. Es drängt sich die unweigerliche Frage auf, wer denn nun beurteilt was falsche Informationen sind und was nicht. Auch Präsident Trump nutzt allzu gern das Feindbild „Fake News“, um politische Gegner zu diskreditieren und in China werden immer wieder Journalisten verfolgt oder verschwinden völlig von der Bildfläche. All diese Zustände rücken schmerzlich nah an die Fiktion Orwells von einer Dystopie ohne jede persönliche Freiheit. Sie zeigen außerdem, dass Orwells Beobachtungen noch heute relevant bleiben. Nur die Möglichkeit politische Sprache öffentlich kritisch zu analysieren, kann unehrlicher Rhetorik entgegenwirken. Die zunehmende Verschlechterung der Pressefreiheit muss uns eines zeigen: Gerade in Krisenzeiten müssen wir das Recht verteidigen, Leuten das sagen zu dürfen, was sie nicht hören wollen.

Ben Weidler
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