Fünf Studierende erzählen, wie sie die Corona-Lage in aller Welt erleben. Einblicke aus Indien, China, Frankreich, Bolivien und dem Libanon
Von Helena Schäfer
Die Welt ist vernetzt, vor allem für junge Menschen. Viele studieren im Ausland, manche komplett, andere für ein Semester, wieder andere machen ein Auslandspraktikum. Corona hat diese Selbstverständlichkeit aufgehoben. Als Grenzen geschlossen und Flüge gestrichen wurden, gingen viele zurück in die Heimat. Andere entschieden sich, zu bleiben.
Franzi, 22, studiert P&E in Bayreuth und ist für zwei Auslandssemester an der Université Saint-Joseph in Beirut, Libanon.
Während in Deutschland noch Corona-Witze gerissen wurden, kam im Libanon schon am 28. Februar die Nachricht, dass Unis und Schulen schließen. Diese Maßnahme war für zwei Wochen gedacht, doch natürlich haben sich die Tore bis heute nicht wieder geöffnet. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur 14 offiziell registrierte (!) Fälle, es wurde weiter fleißig zu Partys gegangen. Der leichtfertige Umgang mit der Pandemie wich jedoch schnell einem Zustand von Panik, insbesondere bei internationalen Studierenden. Als Mitte März mehr und mehr Länder ihre Grenzen dicht machten, wurde es immer schwieriger, vom Libanon nach Deutschland zu kommen. Jeden Tag packten Leute um mich herum in größter Eile ihre Sachen zusammen und fuhren meist spätabends oder nachts zum Flughafen, um vor Ort Tickets zu kaufen. Am 18. März machte der einzige Flughafen im Libanon für Personenverkehr dicht. Meine 8er-WG wurde auf zwei dezimiert. Von den etwa 90 internationalen Praktikant*innen und Studierenden, die ich kennengelernt habe, sind sechs bis sieben übriggeblieben.
Auf die Schulschließungen folgten bald Schließungen der Clubs, Bars, Restaurants, Museen, Theater und Läden. Inzwischen dürfen sonntags (bis auf Ausnahmen) keine Autos mehr fahren, an den übrigen Tagen entweder nur gerade oder ungerade Nummernschilder. Von 19 Uhr bis 5 Uhr ist Ausgangssperre. Die Straßen, die während der Proteste mit hunderttausenden Menschen gefüllt waren, sind nun gespenstisch leer. Den typischen Smog, die sich drängenden Autos und das Dauerhupen gibt es nicht mehr. Die Pandemie trifft auch hier die Schwächsten: Ein Bekannter in Shatila (dem berühmtesten Camp für palästinensische und inzwischen auch syrische Geflüchtete in Beirut) versteht die Maßnahmen zwar, sagt aber, dass durch die Schließungen von Läden Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren: „Vielleicht sterben wir dann nicht an Corona, dafür aber an Hunger.“ Zudem litt das Land schon zuvor unter einer extrem starken Wirtschaftskrise. Die Preise und die Arbeitslosigkeit steigen stetig an. In einigen Teilen des Libanon gibt es bereits Proteste gegen die Maßnahmen. Und dann sitze ich auf meinem Sonnenbalkon in Beirut und habe keinerlei andere Sorgen als die nächste Uni-Deadline. Da sind sie wieder, die Privilegien.
Meine Welt hat sich komplett auf den Kopf gestellt. Vor Monaten war es undenkbar, in einem Land festzusitzen und nicht jeder Zeit wieder zur Familie nach Europa zu können. An diesen merkwürdigen Gedanken habe ich mich gewöhnt. Wahrscheinlich auch ein ganz natürlicher Prozess, schließlich kann ich an der Entscheidung jetzt nichts mehr ändern, der Flughafen ist zu. Warum ich hiergeblieben bin? Gar nicht so einfach zu beantworten. Ich lerne in meiner WG weiter Französisch und Arabisch und hoffe, hier im Sommer ein Praktikum absolvieren zu können. Mir war klar: Wenn ich jetzt gehe, kann ich auf keinen Fall zum Sommer wieder in den Libanon zurückkommen. Was ich interessant finde, sind die unterschiedlichen Sichtweisen auf meinen Verbleib im Libanon: Während mir eigentlich alle Deutschen davon abgeraten haben – das Gesundheitssystem sei viel schlechter, der Libanon befinde sich in einer schweren Wirtschaftskrise, die politische Situation sei nicht die stabilste – sagten mir die meisten Libanes*innen: „Hier bist du doch besser dran als in Europa“. Im Libanon gibt es bisher um die 660 offiziell registrierte Corona-Fälle.
Philip, 22, studiert P&E in Bayreuth und macht gerade ein Praktikum beim Deutschen Konsulat in Bordeaux, Frankreich.
Die Lage in Frankreich ist weiterhin sehr angespannt. Auch wenn die leicht rückläufige Zahl der Menschen auf Intensivstationen für einen Hoffnungsschimmer sorgt, bestimmen dramatische Bilder von überfüllten Krankenhäusern und erschöpftem Pflegepersonal die Berichte in Zeitungen und Fernsehen. Vor allem der Osten Frankreichs sowie der Großraum Paris bereiten große Sorgen. Gut einen Monat lang gilt nun schon die strenge Ausgangssperre und so langsam wird das Ausfüllen des Passierscheins zur lästigen Gewohnheit. Einkaufen, Arztbesuche, der Weg zur Arbeit, familiäre Verpflichtungen oder Sport im Umkreis von einem Kilometer des Wohnorts und für maximal eine Stunde am Tag; die zugelassenen Motive für das Verlassen der Wohnung sind klar definiert. Ich hätte mir niemals vorstellen können, mich für den Gang zum Supermarkt vor einem Polizisten rechtfertigen zu müssen. Warum ich denn nicht zum näherliegenden Supermarkt gehen würde, wurde ich bei meiner bisher einzigen Kontrolle gefragt. Die Polizisten schauen genau hin, die Polizeipräsenz ist beeindruckend. Wer ohne den Passierschein unterwegs ist oder diesen nicht korrekt ausfüllt, riskiert eine hohe Geldstrafe. So kommt es nicht selten vor, dass man zumindest unbewusst ein Schuldgefühl entwickelt, nur weil man einen kleinen Umweg geht, um noch ein bisschen die Sonne zu genießen.
In den ersten beiden Wochen des „confinement“ erschien mir die Atmosphäre auf den Straßen sehr unheimlich und von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Mit den sommerlichen Temperaturen ist aber auch wieder mehr Bewegung in den Straßen zu beobachten. Es scheint, als wachse mit jedem Tag die Ungeduld und der Drang nach mehr Bewegungsfreiheit, in einem Land, in dem das „savoir vivre“ nicht nur eine bloße Floskel ist. Ich werde immer wieder auf den Unterschied zur deutschen Herangehensweise angesprochen. Wie es denn sein könne, dass dort mit weniger strengen Einschränkungen und deutlich entspannteren Regeln gearbeitet wird, werde ich gefragt. Abgesehen davon, dass Frankreich mehr Todesfälle zu beklagen hat und vor allem in den schwer betroffenen Gebieten an die Grenzen der Krankenhauskapazitäten stößt, passt das französische Vorgehen in meinen Augen in das häufig gezeichnete Bild eines starken, zentralistisch organisierten Staates, in dem die Regierung politische Entscheidungen „von oben“ herab durchsetzt. Ein Präsident, der in seiner Ansprache die Bevölkerung auf einen „Krieg“ einschwört unterstreicht den dramatischen Ton in der allgemeinen Berichterstattung. Ich habe mich mittlerweile an die Situation gewöhnt. Man entwickelt seinen Tagesrhythmus, bei dem der Weg zur Arbeit oder der Gang zum Supermarkt zum täglichen Highlight werden. Aber ich weiß nicht, wie sich dieses Gefühl mit zunehmender Dauer der Ausgangssperre verändern wird. Präsident Macrons erneute emotionale und gewohnt staatstragende Ansprache zur Verlängerung der Ausgangsperre um einen weiteren Monat hat für große Ernüchterung gesorgt. Zumindest hat man damit nun ein Ziel vor Augen.
Sarah, 26, studiert Global Studies in Berlin und ist gerade für ein Auslandssemester an der Jawaharlal Nehru University in Delhi, Indien.
In Indien steht alles Kopf. Es gibt eine sehr strikte Ausgangssperre, die von einem Tag auf den anderen angekündigt und genauso plötzlich verlängert wurde. Die Regierung ist sehr intransparent. Jeden Tag kann etwas neues passieren. Durch die Ausgangssperren ist für Millionen Tagelöhner in Indien ihre Lebensgrundlage weggebrochen. Für viele Familien ist Hunger die größere Bedrohung als Corona. Von der Regierung wurden große Hilfspakete angekündigt, die aber, Medienberichten zufolge, längst nicht alle erreichen. In Indien sind über 90 Prozent der Arbeitskräfte im informellen Sektor beschäftigt, d.h. die hatten keine sichere Anstellung, keine sozialen Infrastrukturen. Weil Essensrationen oder Gelder nicht bei allen ankommen, haben Hilfsorganisationen öffentliche Suppenküchen eingerichtet, es gibt viele Spendenaufrufe. In Indien sind die Maßnahmen autoritär ergriffen worden und werden mit Polizeigewalt durchgesetzt. Es gibt überall Videos von Menschen, die mit Schlagstöcken zusammengeschlagen oder gezwungen wurden, auf der Straße Liegestützen zu machen, weil sie gegen die Ausgangssperren verstoßen haben. Die globale Krise zeigt, wie viel es ausmacht, wo dein Zuhause ist und dass der Staat eine ganz andere Bedeutung haben kann.
Dagegen scheint es mir von hier aus in Deutschland relativ einfach Hilfe vom Staat zu bekommen. Auch der Diskurs, wie stark Freiheit eingeschränkt werden darf, scheint in Deutschland präsent, während hier einfach eine Entscheidung getroffen wird, die für 1,3 Milliarden Menschen gilt. Ich bekomme auch mit, dass sich das Quarantäne-Thema unter deutschen Studierenden darum dreht, wie sie ihr Home-Office und sich selbst optimieren können. Viele machen Yoga und wollen produktiv sein. In WGs wird es sich gemütlich gemacht und Wein getrunken. Daran sieht man, dass die Menschen eine ganz andere Grundlage haben. Es ist zwar auch unsicher, aber es gibt ein Grundvertrauen in die Zukunft. Hier geht die Unsicherheit so tief, dass viele nicht wissen, wie der nächste Tag aussehen wird.
Mitte März, zur Zeit der Grenzschließungen sind viele Studierende aus Europa und den USA noch in die letzten Flugzeuge gesprungen. Ich bin aus verschiedenen Gründen geblieben: Ich hatte das Gefühl, gerade erst angekommen zu sein und habe tolle Menschen kennenglernt. Es hätte mir das Herz gebrochen, direkt wieder zu gehen. Ich hatte auch Vertrauen in die Uni, dass sie für mich sorgen kann und habe gesehen, dass in Indien schon sehr früh Maßnahmen ergriffen wurden, zum Beispiel Temperaturmessungen in Shopping Malls. Deshalb hatte ich das Gefühl hier nicht weniger sicher zu sein. Was mich am meisten sorgt ist, dass wenn irgendwas mit der Familie ist, ich wirklich nicht mehr nach Hause komme, da alle Rückholflüge vorbei sind.
Die Stimmung am Campus ist extrem ruhig. Sonst leben hier 9000 Studierende, jetzt sind noch 650 da. Es gibt eine Debatte über Online-Kurse, die für viele indische Studierende, die jetzt wieder bei ihren Familien auf dem Land sind, ein Problem darstellen würden. Manche haben sehr schlechten Internetzugang oder starke Verpflichtungen im Haushalt. Ich bekomme zweimal am Tag eine warme Mahlzeit und werde gut versorgt. Von meinem Zimmer aus verfolge ich über indische Medien die Lage im Land. Das meiste dreht sich um die Arbeiter, die in den Großstädten festsitzen und eigentlich nach Hause wollen. Corona hat meinen Blick auf Indien verschärft: Ungleichheiten waren mir zwar schon vorher klar, aber in der Krise werden sie noch deutlicher. Jetzt sehe ich, dass ich vieles, was ich am Anfang faszinierend fand, die Rikscha-Fahrer, das bunte Treiben auf den Straßen, romantisiert habe. Die Lage indischer Arbeiter ist zur humanitären Krise geworden, hervorgehend aus einem globalen System der Ausbeutung und Abhängigkeit.
Juan, 22, studiert IWE in Bayreuth und ist seit Mitte Februar bei seiner Familie in La Paz, Bolivien.
Am Anfang wurde die Krise unterschätzt, für die meisten Bolivianer schien die Gefahr weit weg. Erst Ende März hatten wir die ersten Fälle. Das Gesundheitssystem in Bolivien ist schwach, obwohl die Wirtschaft in den letzten Jahren gewachsen ist. Selbst ohne Corona sind die Krankenhäuser stark belastet. Als die ersten Fälle in Lateinamerika bestätigt wurden, haben sich die Menschen angefangen zu sorgen. Die Hauptstadt La Paz liegt 3000 Meter über dem Meer, es gibt an sich schon wenig Luft, wie sollen wir da mit dem Coronavirus umgehen? Santa Cruz ist mit 3 Millionen Einwohnern die größte Stadt, dort gab es Anfang März nur 100 Beatmungsgeräte, obwohl man bald 700 brauchen würde. Bolivien hat Ausstattung von der EU und aus China bekommen, inzwischen stellen wir auch selbst Beatmungsgeräte und Tests her, aber weiterhin ist die Sorge groß, dass wir unvorbereitet sind. Es wird viel darüber berichtet, wie gut Deutschland die Krise bewältigt mit Ausrüstung, Pflegepersonal und Spezialisten. Hier in La Paz gibt es nur drei oder fünf Spezialisten für Lungenentzündungen. Deutschland ist die Messlatte, mit der sich viele Länder vergleichen.
Wegen der medizinischen Lage hat die Präsidentin schnell eine Ausgangssperre durchgesetzt. Das fanden die meisten zuerst gut. Innerhalb von zwei Wochen sind aber soziale Unruhen entstanden. Bolivien ist immer noch eines der ärmsten Länder in Südamerika. Viele Menschen leben von dem, was sie am Tag erwirtschaften. Sie haben erkannt, entweder wir sterben am Coronavirus oder wir sterben am Hunger zuhause. Daraufhin wurden die Quarantänebestimmungen verschärft. Der Verkauf von Alkohol ist verboten. Jeder darf nur einen Tag in der Woche raus, das wird nach der letzten Ziffer der Ausweisnummer bestimmt. Meine letzte Zahl ist 9, das heißt, dass ich freitags raus darf. Aber nur zwischen 8 und 12, danach darf niemand auf die Straße. Am Wochenende darf auch niemand raus. Wenn du jetzt auf der Straße gefunden wirst, wirst du acht Stunden in den Knast geworfen und du musst eine Strafe von 2000 Pesos, etwa 270 Euro, bezahlen. Die Präsidentin hat inzwischen Hilfspakete für die betroffene Bevölkerungsgruppe erlassen. Das hat ein bisschen geholfen, aber es gab auch wieder Kritik, da viele zu Fuß vom Land in die Städte mussten, um sich ihr Geld abzuholen, da man nicht mehr Auto fahren darf. Inzwischen kontrolliert das Militär die Straßen. Wenn ich rausgehe, macht mir das ein bisschen Angst.
Es gibt aber auch viel Gutes in der Krise: Die staatlichen Unternehmen für Wasser und Elektrizität zeigen Verständnis dafür, wenn jemand Rechnungen erst in ein paar Monaten bezahlen kann. Außerdem gibt es Kredite für kleinere Unternehmen. Es leben auch schöne Traditionen aus dem alten Bolivien wieder auf: Vor zwei Generationen waren die großen Städte noch klein und alle Menschen kannten ihre Nachbarn und unterstützten sich. Jetzt passiert das wieder, man kauft für die ein, die nicht rausdürfen, zum Beispiel alle über 65. Es werden auch Produkte getauscht, zum Beispiel Reis gegen Obst. Es ist schwierig, wenn eine Person einmal in der Woche für die ganze Familie und Nachbarn einkaufen muss. Mittlerweile haben wir es aber so organisiert, dass nichts fehlt. Dabei hat sich eine schöne Gemeinschaft entwickelt. Ohne Coronavirus hätten wir uns in der Nachbarschaft nicht so eng kennengelernt. Es gibt immer noch eine solidarische Denkweise, die von den indigenen Bevölkerungen kommt. Im Inka-Reich galt: Ich helfe heute dir, und irgendwann hilfst du mir. Das wird als starke Pflicht verstanden. Seit der Krise gibt es Tüten mit Essen auf der Straße und Plakate auf denen steht: „Heute für dich, morgen für mich“. Sowas hat man lange nicht mehr in den bolivianischen Großstädten gesehen. Es bringt das Land, das sonst oft als ungleich und geteilt wahrgenommen wird, wieder ein Stück zusammen.
Andrew, 21, studiert am Georgia Institute of Technology und war für ein Auslandssemester in Peking, China.
In den Winterferien im Januar habe ich Verwandte in Luoshan besucht, das ist ungefähr vier Stunden mit dem Auto von Wuhan entfernt. Dort habe ich zuerst von dem neuen Virus gehört, habe es aber erst als reißerisches Thema verworfen. Bald wurde jedoch klar, dass es ziemlich ernst ist. Eigentlich wollte ich das Chinesische Neujahr bei anderen Verwandten in Zhengzhou verbringen, und von da weiter nach Hongkong reisen. Doch während ich in Luoshan war, hat mein Onkel mit jedem Tag mehr und mehr Teile unserer Reise abgesagt. Dann, ich glaube es war der Morgen des 21. Januar, hat die chinesische Regierung angekündigt, dass Wuhan geschlossen wird. Mein Onkel hat mich angerufen und gesagt, dass unsere Reise ganz gestrichen ist. Es gab Gerüchte, dass die Stadt, in der ich war, auch abgeriegelt würde, weil sie ziemlich nah an Wuhan liegt. Da der Lebensstandard dort nicht so hoch ist, wollte mein Onkel mich schnell rausholen und hat mich zur Grenze des Distrikts geschickt. An den Zufahrten auf die Schnellstraßen sah man viel medizinisches Personal in medizinischer Ausrüstung. Viele versuchten, aus dem Distrikt rauszukommen. An der Grenze hat mich mein Onkel abgeholt. Weil der Rest der Familie Angst hatte, mit wem ich zuvor in Kontakt war, habe ich 14 Tage nur mit meinem Onkel gelebt und der Rest der Familie ist in eine andere Unterkunft gezogen. Ich würde nicht sagen, dass ich ausgeflippt bin, hauptsächlich war mir einfach langweilig. Aber es war schon komisch. Am zweiten Tag unserer „Quarantäne“ ist mein Onkel zum Supermarkt gegangen. Wer keine Maske aufhatte, wurde nicht reingelassen und bei allen Kunden wurde vor dem Reingehen die Temperatur gemessen. Das Verrückteste war die Fahrt vom und zum Supermarkt, weil man in einer so großen Stadt wie Zhengzhou fast keine Fußgänger und Autos gesehen hat. Am fünften Tag kamen zwei Regierungsbeauftragte zu unserem Apartment, die unsere Reiseroute notiert haben, ich nehme an, sie haben das für alle Menschen in dem Apartmentblock gemacht. Die nächsten 1,5 Monate bin ich drinnen geblieben. Nur noch eine Person pro Apartment durfte raus. Mein Onkel ist einmal in der Woche einkaufen gegangen. Ich weiß nicht, was es für Strafen gab für Menschen, die sich nicht an Maßnahmen gehalten haben. Das liegt, glaube ich, daran, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand hier die Regeln brechen würde. Die Regierung konnte die Maßnahmen so gut umsetzen, weil, anders als im Westen, die meisten Chinesen in Städten in hohen Apartmentblöcken leben, die einen gemeinsamen Innenhof haben. Diese Innenhöfe haben nur ein paar Ausgänge und bei uns haben sie nur noch einen aufgelassen und einen Wachtposten eingerichtet. In dieser Zeit habe ich mich viel gelangweilt. Nach 1,5 Monaten aus dem Fenster schauen konnte ich draußen sehen, dass das Leben langsam wieder normal wurde, man sah mehr Autos und Fußgänger.
Die Stimmung jetzt ist vorsichtiger Optimismus. Es scheint, als sei das Schlimmste vorüber. Draußen scheint es normal. Aber Menschen sind immer noch nicht wirklich bereit, in Restaurants zu essen und alle haben immer noch Masken auf. Viele haben Angst vor einer zweiten Welle. Chinas Maßnahmen haben mein Bild vom Staat bestätigt: drakonisch, aber scheinbar effektiv. Der größte Unterschied, den ich zu den USA sehe, ist die Radikalität der Maßnahmen der Regierung. Die amerikanische Regierung ist, glaube ich, nicht in der Lage, solch extreme Maßnahmen einzuführen. Der zweite Unterschied ist, wie ernst die Menschen das Virus nehmen. In meinen Augen haben die chinesischen Bürger das Virus ernster genommen. Alle tragen immer noch Masken und oft auch Handschuhe oder benutzen Plastikfolie, um direkten Kontakt zu vermeiden.
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