Vier Perspektiven auf die digitale Lehre
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. So finden Vorlesungen und Seminare auch derzeit nicht mehr an der Universität statt, sondern werden live übertragen oder durch Online-Videos ersetzt. Der Laptopbildschirm dominiert den Alltag. Wie die Universität und weniger standardisierte Studiengänge, wie etwa die Theaterwissenschaft oder auch die Kulturwissenschaften sich organisieren, berichten in einem Interview der Vizepräsident für Lehre und Studierende und Leiter des Lehrstuhls für Literaturwissenschaft, Prof. Martin Huber, der Professor für Soziologie Georg Kamphausen, sowie Professor Alexander Brink für Wirtschaftsethik und der Lehrstuhlinhaber für Theaterwissenschaft Prof. Wolf-Dieter Ernst.
WAS GEHT BEI DER DIGITALEN LEHRE VERLOREN?
Professor Martin Huber: „Neben dern Schwierigkeiten einen direkten kritischen Austausch mit den Studierenden entstehen zu lassen, entstehen für die Geistes- und Sozialwissenschaften Nachteile in der Literaturversorgung. Das Urheberschutzgesetz regelt die Einspeisung von kompletten Büchern in digitale Semesterapparate sehr restriktiv. Die Bibliotheken können zwar ab dem 27. April neben der kontaktlosen Ausleihe Schritt für Schritt weitere Nutzungen zulassen, allerdings nur wenn sie strenge Auflagen wie Abstands- und Hygieneregeln einhalten. Im Wartebereich dürfen nicht mehr als zehn Personen stehen. Wir prüfen gerade Konzepte, wie eine Nutzung der Bibliothek unter diesen Bedingungen möglich ist. Voll besetzte Lesesäle wird es so schnell nicht geben können.“
Professor Georg Kamphausen: „Die Wissenschaft besteht aus konkreten Personen. Die Lerngemeinschaften gehen durch einen rein digitalen Kontakt verloren. Viele Kollegen bleiben leider zuhause, da geht die Greifbarkeit verloren, wenn alle an anderen Orten leben. Auch der Zufall geht verloren und der Austausch am Campus.“
Professor Wolf-Dieter Ernst: „Meine KollegInnen und ich tun alles, um die Lehre und Studierbarkeit zu sichern. Für Theaterproben zeichnet sich langsam eine Richtlinie ab, jedoch werden wir wohl im Sommersemester keine Aufführungen durchführen können. Das ist schmerzlich für alle Studierenden der Theaterwissenschaft, denn diese Aufführungen sind ja ein wichtiger Teil des Studiums. Meine Sorge ist, dass wir die negativen Folgen des shut-down erst in einem Jahr spüren werden.“
Professor Alexander Brink: “Unsere schöne Campus-Atmosphäre fehlt natürlich – man fährt nicht mit dem Rad zur Uni, man sieht die Studierenden nicht auf dem Universitätsgelände. Dieses ganz besondere Flair kann einfach nicht ersetzt werden. Es sind aber auch viele praktische Dinge: Manchmal joggen wir morgens vor dem Blockseminar, mittags sitzt man gemeinsam im Frischraum und abends geht man ab und zu etwas essen. Die Pausengespräche über die Idee für eine Bachelorarbeit, eine Frage zum Praktikum oder zum Studienverlauf – das geht alles verloren. ”
GIBT ES POSITIVE ASPEKTE DER DIGITALEN LEHRE?
Professor Martin Huber: „Die erzwungene Distanz schafft auch neue Freiräume und Nähe. Die Sprechstundenzeiten etwa werden länger und intensiver über Zoom. Da sie über Terminplaner geregelt werden können, gibt es keine Warteschlangen mehr vor dem Büro.“
Professor Georg Kamphausen: „Ich hoffe, dass die Studenten mehr lesen. Ein positiver Punkt kann auch ein direkterer Kontakt zwischen Studierenden und Professoren sein, etwa über Telefongespräche.“
Professor Wolf-Dieter Ernst: „Es gibt immer positive Aspekte der digitalen Lehre! Aber vielleicht sollte man eine Konsequenz aus Rezo & the like ziehen und diese Aspekte in jenen Inhalten suchen, die ‚digital natives‘ selbst produzieren. Ich zähle da nicht dazu. Alexander Kluge, den ich sehr schätze, sagte zur Eröffnung des Germanistentags in Bayreuth sinngemäß, dass die Amerikaner die Programme, die Chinesen die Technik und die Europäer den ‚Content‘ herstellen. Es braucht immer alles drei.”
Professor Alexander Brink: “Zunächst einmal hat man eine untypische Seminar-Perspektive: Normalerweise schauen die Studierenden ja auf den Dozierenden oder den bzw die Referierende*n. Per Zoom sieht jeder jeden, von Angesicht zu Angesicht und gleichzeitig schauen alle auf die Online-Präsentation. Das erhöht ein wenig die Aufmerksamkeit. Die Gruppeneinteilung funktioniert relativ zügig, man kann schnell abstimmen, Zustimmung oder Beifall signalisieren. In einem kleinen Team unter 20 Studierenden kommt auch eine Diskussion zustande. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man universitätsübergreifend ähnliche Veranstaltungen wechselseitig anerkennt – damit wird auch das Lehrangebot attraktiver. Auch für Auslandsstudierende bietet das bessere Möglichkeiten, sich an Veranstaltungen zu beteiligen. Vielleicht sind Vorlesungen sowieso nicht mehr ganz zeitgemäß, an denen sehr viele Studierende teilnehmen und kaum spannende und kritische Diskussionen aufkommen können. Unser Blockseminar war übrigens meine erste CO2-neutrale Veranstaltung!”
WIE GESTALTET SICH DIE DIGITALE LEHRE BEI IHNEN?
Professor Martin Huber: „Die Germanistik ist ein Fach, das sehr diskursiv lehrt. Es wird deshalb einen Mix geben aus Zoom-Sitzungen, Webinaren und PowerPoint-Vorlesungen mit Audiospur. Der jeweilige Mix ist abhängig von den Fächerkulturen.“
Professor Georg Kamphausen: „Die Lektürseminar werde ich so halten, dass ich Literatur vorgebe und dann von allen Teilnehmern eine schriftliche Zusammenfassung verlange. Eine Zusammenfassung bringt eine Menge und Fragen können telefonisch besprochen werden. Es ist natürlich nicht das gleiche, wie wenn man jemandem gegenüber sitzt und diskutiert. Ich habe Zoom noch nicht benutzt. Ich weiß nur von anderen Plattformen, dass es wahnsinnig nervig ist, wenn die Verbindung stockt. Es ist nicht das, was man sich eigentlich erwartet.“
Professor Wolf-Dieter Ernst: „Wir experimentieren über Zoom mit digitalen Szenarien und versuchen die Software so interaktiv wie möglich zu konfigurieren, Whiteboard-Sharing und Co-Hosts zu ernennen und parallel E-learning-Foren zu nutzen. Man braucht schon Nerven und viele Bildschirme. Wir werden performative Probetechniken ausprobieren zur Erkundung des jeweiligen Stadtraums. Ein Lernen über Erfahrung, quasi wie ein Experiment. Ich möchte, dass die Studierenden auch rausgehen. Es gibt ja ein großes Bedürfnis rauszugehen und sich zu sehen. Sie werden dann Texte und Bilder als Dokumente ihrer Wahrnehmungen einreichen. Aus den Bildern und Texten, die da gesammelt werden, entwickeln wir dann eine Aufführung, wenn wir wieder proben dürfen. Das kann dann vielleicht über Streaming gezeigt werden im digitalen Campus Kultursemester.“
Professor Alexander Brink: (Prof. Alexander Brink hat das erste Online Seminar am 17. April vor Beginn des Semesters über Zoom abgehalten) “Es hat alles gut funktioniert – die Angst von Studierenden und Dozierenden ist also unbegründet. Man kann Inhalte ohne großen Qualitätsverlust vermitteln. Wir hatten ein sehr interdisziplinäres Seminar mit drei beteiligten Studiengängen und es war ein Experiment, auf das sich alle Beteiligten einlassen mussten. Keiner wusste was dabei rauskommt, es ist ein
Deal, den beide Parteien (Dozent*in und Studierende) machen. Man muss sich auf diese Form der Lehre erstmal einlassen. Ich finde, diese Bereitschaft zeichnet unsere Studierenden und Dozierenden an der Universität Bayreuth aus.”
KANN ONLINE-LEHRE DIE BISHERIGE LEHRE ERSETZEN?
Professor Martin Huber: „Wir alle sind stolz auf unsere hoch engagierte, eng mit der Forschung verzahnte Lehre auf dem Campus der Universität Bayreuth. Unter den gegebenen Bedingungen kann die Online-Lehre im Sommersemester 2020 hierfür nicht in allen Bereichen einen vollwertigen Ersatz bieten. Experimentelle Naturwissenschaft kann nur zu einem geringen Teil digital vermittelt werden. In anderen Fächern gelingt das besser und führt zu einem Schub in der Digitalisierung der Lehre, wo immer dies sinnvoll ist.“
Professor Georg Kamphausen: „Die digitale Lehre bedarf eines gigantischen Aufwandes, die Internetbetreuung und das ständige Hochladen. Lehre ist Kontakt zu Menschen und hat viel mit Situationskomik zu tun. Man muss den Menschen ins Gesicht sehen.“
Professor Wolf-Dieter Ernst: „Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten und ist wichtig, dialogisch ist sie damit noch nicht. Der Dialog aber zieht sich durch die ganze Idee des Theaterstudiums, sich zu treffen, zu diskutierten und letztlich ja auch der Dialog auf der Bühne. Unser Lehrkonzept passt daher nicht ohne weiteres in die digitalen Lehrformate, denn das Theaterstudium hat sehr viel mit Selbstbildung und Dialog zu tun. Das ist eines unserer Kernelemente. Zudem gibt es bei uns jedes Semester mehr oder weniger neue Lehrinhalte. Ich habe kein Lehrbuch, aus dem man schnell eine digitale Lektion erstellt. Ich sperre mich also nicht gegen die online-Lehre, aber wir haben einfach nicht die Mittel uns optimal daran anzupassen.“
Professor Alexander Brink: “Nein. Sie kann in Einzelfällen und punktuell die Lehre ergänzen. Die Sorge, dass die digitale Lehre das traditionelle Angebot ersetzen wird, ist unbegründet. Wir haben gegenwärtig eine Ausnahmesituation und es ist für den Moment die beste Lösung. Das Ergebnis eines klugen Abwägungsprozesses zwischen traditioneller Lehre und unserer Gesundheit.“
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