Blues n´ Booty

von Pauline Albert

Der Blues lebt, aber woher er kommt und was er uns heute noch zu sagen hat, wird oft überhört

Von Hanno Rehlinger

Es ist laut. Man kann die Instrumente nicht unterscheiden. Der ganze Laden zuckt im Beat. Zwanzig Bläser, eng gedrängt im Zentrum des Raumes. Es riecht nach Gras. An der Wand: Große Bildschirme mit nackten Frauen. Im Club sind nur zwei Weiße. Ein junger Mann in Jogginghose, der in der Mitte der Bläser hin und her gedrückt wird und aus aufgeblähten Backen in sein Tenorsaxophon bläst. Immer schneller. Die Musiker heizen sich gegenseitig an. Das Publikum heizt die Musiker an. Die Musik macht das Publikum heiß. An der Tür tasten zwei Kolosse jeden Neuankömmling nach Waffen ab. Wenn die Bläser einpacken läuft Hip Hop aus bass-lastigen Boxen. Das ist Kermit’s Mother in Law Club, in New Orleans.

Der Club des Trompeters liegt unter der Autobahn am Stadtrand. Ein kleines viereckiges Häuschen mit nur einem Stockwerk, von oben bis unten mit Graffiti besprüht. Der kleine Mann ist dick und hat ein breites Louis Armstrong Lächeln und trägt elegante Hüte oder überdimensionierte Baskenmützen. Vorher am Abend hatte er in einem Restaurant gespielt, begleitet von Klavier und Kontrabass. Um ihn herum reiche Weiße bei Lammfilet und Rotwein. Er singt dann „Saint James Infirmary“, macht dreckige Witze und gibt dem Publikum auch sonst ganz den Eindruck, einen jungen Louis Armstrong vor sich zu haben. Kermit Ruffins gilt als der beste Trompeter der Stadt, vielleicht einer der besten der Welt. Abends gibt er große Grillparties in seinem Club unter der Autobahn mit Pornos an der Wand.

Die Geschichte des Jazz beginnt hier. Im Blues, in einem Milieu, das weit weg ist, wenn man heute in der Berliner Philharmonie sitzt und den komplizierten Klängen des Jakob Bro Trios lauscht. Der Blues ist heute salonfähig, aber sein Milieu ist genau wie damals unbeliebt und oft verlacht. Bei Tupac und Co. geht es um Sex, Gewalt und was es bedeutet Schwarz zu sein in einer weißen Welt. Diese Rapper, die aus demselben Milieu kommen und dieselben Themen weitertragen, werden heute als vulgär, rückschrittlich und gewaltverherrlichend abgestempelt. Die Politik wirft Ihnen vor, die Jugend zu verderben.

Als Bessie Smith Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts besang, wie sie ihren Mann ermorden will, brach Sie alle moralischen Regeln der privilegierten Gesellschaft. Genauso Dinah Washington, die in den 50erJahren eine von vielen schwarzen Frauen war, die etwa in „Big long sliding thing“ offen über Sex sangen:

“He brought his amplifier
And he hitched it in my plug
He planked it, and he plunked it
But it just wasn’t good enough”.

Die Moralvorstellung der Gesellschaft hat sich verändert. Anstatt die Texte der Blues-Musiker als vulgär und unwürdig zu verdammen, betrachtet man sie heute als direkt. Dafür werden heute die Rapper zensiert. Zugegeben, Lil Kim`s

“I used to be scared of the dick,

Now I throw lips to the shit […]

That’s how many times I wanna cum, twenty-one
And another one, and another one, and another one”

ist ungleich derber, auch brutaler als Dinah Washingtons „big long sliding thing“. So weit voneinander entfernt sind sie aber nicht. Auch Lil Kim entspricht nicht der Moralvorstellung ihrer Zeit. Sie reproduziert Rollenbilder und verherrlicht ein Gangster-Image. Ein weiterer gemeinsame Nenner ist das lebensbejahende Selbstbewusstsein der beiden Frauen. Auch die explizite Sexualität ist ein Akt der Selbstbehauptung, damals wie heute.

Dreißig Jahre nach Dinah Washington schreibt die Feministin MacKinnon, dass Sex immer Herrschaft über die Frau bedeutet. Noch einmal dreißig Jahre später diskutieren wir über #MeToo. Es wird kritisiert, dass Frauen andauernd in eine Opferrolle gedrängt werden. Wir sind vorsichtiger geworden, auch mit unserer Sprache. Überall lauert die strukturelle Diskriminierung, denn ihre Wurzeln sitzen tief.

Das Narrativ, das wir aus dem Blues kennen, und das wir jetzt im Hip Hop wiederfinden, reproduziert oft Vorurteile. Es ist richtig, dass auch Sex oft Rollenbilder reproduziert, schließlich ist unser Begehren der letzte Ort, den unsere Moral erreicht. Deshalb ist die Lösung aber nicht unbedingt zu entsagen. Klar ist es nicht gut, Schwarze als Kriminelle zu stigmatisieren, und trotzdem mag der Gangsterrap manchem helfen, sich eine Identität zu verschaffen, in einer Welt, die nicht viel übrig hat für einen.

Die Blues-Queens wie die Rapper malen oft unreflektierte Bilder von einer ungerechten Welt. Die Welt ist aber für alle ungerecht, und alle sind ungerecht in ihr. Diese Erkenntnis hat in der theoretischen Analyse wenig verloren, weil sie keine Lösungen bereithält. Auch weil sie eine Realität beschreibt, die vom geordneten Bürgertum gerne in Filme und Bücher verbannt wird. Es kann aber hilfreich sein, den Stimmen derer zuzuhören, die diese Wahrheit in die Welt schreien, denn sie haben einen anderen Umgang mit ihr gefunden.

Ein Mensch ist niemals nur Opfer oder Täter, so funktioniert das Leben nicht. Lasst uns die Kunst als eine Möglichkeit begrüßen, sich als Mensch ambivalenter wiederzuerkennen als uns die politische Debatte das manchmal erlaubt.

Hanno Rehlinger
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