Ein ehemaliger Alkoholiker, ein Transgender und eine Krebskranke im Sitzkreis
Campus Kultur Woche
Wie ein Alkoholiker zum Suchtkrankenhelfer wurde, ein Transgender über ein Jahr das Schwimmbad vermieden hat und eine Krebskranke erklären muss, dass Blutkrebs nicht ansteckend ist, hört man nicht jeden Tag.
Genau dafür schuf die Veranstaltung „Frag ein Klischee“ Raum. Umrundet von Yogamatten stehen die Klischees im Mittelpunkt. Mit einer Gelassenheit stellen sie sich zwischen Tränen und einem verschmitzten Lächeln den Fragen der Teilnehmer.
Klaus war Alkoholiker. Heute hat er damit abgeschlossen und hilft anderen bei der Überwindung ihrer Sucht. Dabei wird er ständig mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Für die Entgiftung und Therapie entschied er sich selbst. Bis dahin war es ein weiter Weg. Die Abhängigkeit durchlief einen schleichenden Prozess. „In Bayern gehört der Alkohol zur Brotzeit, doch man übersieht den Punkt, an dem Schluss ist.“ Seinem ständigen Verlangen kam er mit Bier nach. Nicht weil es schmeckte, sondern weil es Schmerzen linderte. „Ich stand um 5 Uhr auf und griff gleich zum Bier statt zum Kaffee. Da wurde mir klar, dass etwas nicht stimmt.“ Niemand sprach ihn in dieser Zeit auf sein Trinkverhalten an. Im Nachhinein hätte er sich das gewünscht. Dem Satz >Alkohol ist ein gutes Lösungsmittel< misst Klaus nun eine andere Bedeutung zu. Die Therapie tat ihm gut und gab ihm Zeit zum Nachdenken. Rückblickend sagt er mit gesenktem Blick: „Ich habe mich geschämt.“
Das zweite Klischee ließ die Teilnehmer auch nicht unberührt. „Es gibt verdammt viele Adjektive, die mich beschreiben. Eins davon ist Trans“, so Kay. Im Dez. 2017 outete er sich zum ersten Mal gegenüber seiner Schwester. Doch bereits in der Pubertät wusste er, etwas stimmt nicht mit ihm. Nach langem Ringen erkannte er, dass er im falschen Körper geboren wurde. Mit dem Namen Kay wollte er dann weiterleben. Da er noch keine Hormonbehandlung durchläuft, sieht er noch weiblich aus. Daher blickt er oft in verzweifelte Gesichter, die sich bei der Verwendung des richtigen Pronomens unsicher sind. Andere wollen das überhaupt nicht akzeptieren. Das kann zu unangenehmen Situationen führen. „Ich war seit meinem Outing nicht mehr schwimmen.“ Auch der Toilettengang kann durchaus schwierig sein. Momentan bevorzugt er die Frauentoilette, nachdem er einmal im Herrenklo angegangen und rausgeworfen wurde. Mit der Bemerkung „peinliche Situation“ wischt Kay diesen Vorfall zur Seite. Sein wirkliches Geschlecht will er nicht mehr aktiv verbergen. Am Campus trifft er auf Verständnis.
Auch Lisa geht mit ihrem „Klischee-Sein“ offen um. Mit neun erhielt sie die Diagnose Blutkrebs. Es folgten Behandlungen mit allem was dazu gehört. Damals wollte sie aufgeben, konnte aber das Ausmaß dieses Aufgebens nicht erfassen. Heute nach gut zehn Jahren gilt sie als „geheilt“. Doch Panik kommt auch jetzt nicht zu kurz, wenn bekannte Symptome wiederauftauchen. Vor allem ihre Mutter macht sich große Sorgen. Doch in ihren Eltern tankt Lisa Kraft und wird in ihrem Positivismus bestärkt. Ihre Beziehung zum Leben sowie zum Tod hat sich geändert. Sie nimmt das Leben ganz anders wahr und träumt von der Zukunft. Auch wenn sie eine lange Zeit im Krankhaus verbrachte und den Kontakt zu ihren Freunden über Briefe pflegte, hat sie nichts verpasst und genießt das Leben. „Die Mitleidsschiene bin ich leid. Aussagen wie >Oh du bist so tapfer< sind zwar nett gemeint, doch die habe ich zu genüge gehört.“ Auf die Frage, wie sie von anderen behandelt werden will, antwortet sie knapp: „Ganz normal.“
In Wahrheit sind die Drei gewöhnliche Menschen, die ganz individuelle und mitreißende Geschichten zu erzählen haben. Diese einzigartigen Erfahrungen werden die Teilnehmer noch lange begleiten.
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