Inside out

Photo by John Silliman on Unsplash

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Wie ist es, depressiv zu sein?

von Susanne Lauck

Ein Teil von Laura (Name geändert) war schwer krank. Kein unmittelbar greifbarer oder sichtbarer Körperteil. Nichts, das ein Chirurg mit einem Skalpell herausschneiden könnte. Nichts, weshalb andere im Bus aufstehen würden, um ihr einen Sitzplatz anzubieten. Aber etwas, das sich trotzdem wie durch jede Zelle frisst. Etwas, das den gesamten Alltag einschränkt und das dringend der Rücksicht der Mitmenschen bedarf. Sie war depressiv. Was das für die Studentin hieß, erzählt sie dem Falter jetzt im Interview. 

FALTER: Laura, wie lange bist du schon von der Depression geheilt? Kann man überhaupt von „Heilung“ sprechen oder bleibt das Risiko, wieder daran zu erkranken, bestehen?

Ich würde mich seit knapp zwei Jahren als gesund bezeichnen. Allerdings glaube ich schon, dass trotzdem immer ein gewisses Risiko besteht, wieder an Depressionen zu erkranken. Aber ich würde die ersten Anzeichen aus Erfahrung jetzt schneller erkennen und mir dann Hilfe suchen.

FALTER: An welchem Punkt hast du gemerkt, dass du nicht einfach schlechte Laune hast, sondern krank bist?

Leider viel zu spät. Ich glaube, erst nach vier Monaten. Das war nach meinem ersten großen Zusammenbruch.

FALTER: Gab es so etwas wie einen Auslöser für deine Depression?

Rückblickend würde ich sagen, dass es nicht die eine konkrete auslösende Ursache gab, vielmehr war es ein Zusammenspiel aus vielen belastenden Faktoren. Ich hatte beispielsweise ein sehr angespanntes Verhältnis zu meinen Eltern und viel Stress in der Uni. Am schlimmsten war es aber für mich, die Krebserkrankung meines Opas mitzuerleben, gegen die er monatelang angekämpft hat und schließlich doch daran gestorben ist. Dem ist aber hinzuzufügen, dass eine Depression auch ohne konkreten Auslöser auftreten kann. Ich habe das immer mit einer Erkältung verglichen: wenn es kalt ist oder ich schon ein bisschen angeschlagen bin, ist das Risiko sich zu erkälten größer. Aber man kann auch im Sommer aus dem Nichts heraus eine Erkältung bekommen. Genauso ist das mit Depressionen: es gibt Risikofaktoren, aber das muss nichts heißen.

FALTER: Hattest du auch körperliche Beschwerden?

Ich hatte mit Schlaflosigkeit, häufigen Kopfschmerzen und ständiger Müdigkeit zu kämpfen und war sehr oft krank. Abgesehen davon hatte ich mehrmals richtige Zusammenbrüche, bei denen ich teilweise stundenlang geweint habe und nichts anderes tun konnte.

FALTER: Erinnerst du dich an einen Moment, in dem die Depression am schlimmsten war?

Am schlimmsten war für mich Weihnachten vor drei Jahren: Eigentlich wollte ich versuchen, mich ein bisschen zu entspannen, und eine schöne Zeit mit meiner Familie verbringen. Aber ich konnte einfach nicht abschalten. Der Heiligabend selber war grauenvoll, ich habe einfach nichts gefühlt und konnte mich überhaupt nicht freuen. Das hat mich noch trauriger gemacht und unheimlich einsam, weil meine Familie nichts von meiner Lage wusste.

FALTER: Was hat dir geholfen, aus der Krankheit zu entkommen?

Ich war zum einen in ambulanter Behandlung bei einer super Therapeutin, zum anderen habe ich pflanzliche Antidepressiva genommen. Jeweils einzeln für sich hätte mir das aber nicht so viel gebracht. In der Therapie habe ich gelernt, was überhaupt die Ursachen für meine Probleme waren, wie ich diese angehen kann und habe mir Ausgleichsstrategien zurechtgelegt. Die Medikamente hingegen waren notwendig, um überhaupt eine Basis für eine erfolgreiche Therapie zu schaffen und die Botenstoffe im Gehirn sozusagen wieder in einen normalen Zustand zu bringen. Aber auch das ging nicht von heute auf morgen, sondern es hat ein paar Wochen gedauert, bis ich mich stetig besser gefühlt habe.

FALTER: Welche Beziehung hattest bzw. hast du jetzt zu deiner Depression?

Während und lange Zeit nach meiner Depression konnte ich nur mit sehr wenigen Menschen darüber sprechen und habe bei diesem Thema ansonsten sofort abgeblockt. Seit ein paar Monaten merke ich aber, dass es mir mit größer werdendem Abstand immer leichter fällt, offen dazu zu stehen und zu reden. Mir geht es schon lange wieder gut, die Depression war ein schlimmer Teil meines bisherigen Lebens, aber eben nur ein Teil von vielen anderen.

FALTER: Wird eine Depression – oder werden allgemein psychische Krankheiten – deiner Meinung nach genauso ernst genommen wie physische Krankheiten?

Definitiv nicht! Irgendwo ist das natürlich auch verständlich: Ich kann nicht in den Kopf eines Menschen hineinsehen, ich weiß nicht, was die Person fühlt und wie es ihr geht. Es ist also schwierig, eine psychische Krankheit zu erkennen. Das ist aber kein Argument dafür, jemandem diese abzusprechen und keine Rücksicht darauf zu nehmen. Nur weil etwas auf den ersten Blick nicht da ist, heißt es nicht, dass es nicht existiert. Abgesehen davon ärgert mich zum Beispiel auch der inflationäre Gebrauch des Wortes „depressiv“. Wenn man nur mal einen schlechten Tag hat, ist man nicht gleich depressiv! Das sorgt eben auch dafür, dass Depressionen fälschlicherweise nicht ernst genommen werden, „wo das doch jeder schon mal hatte“.

FALTER: Was rätst du denjenigen, die Angst haben, depressiv zu sein?

Vertraut euch jemandem an, egal wem. Keiner kann auf Dauer ein Einzelkämpfer sein, das ist meiner Meinung nach einfach nicht zu schaffen.

FALTER: Wenn ich befürchte, in meiner Familie oder meinem Freundeskreis könnte jemand unter Depressionen leiden, wie soll ich handeln?

Sprich die Person darauf an, am besten wenn sie alleine ist und frei sprechen kann. Zeige ihr, dass du dich um sie kümmern willst und vor allem, dass du Verständnis für ihre Lage hast. Abgedroschene Floskeln wie „Das wird schon wieder“ oder „Einfach positiv denken“ helfen aber überhaupt nicht weiter! Frage, wie du ihr konkret helfen kannst. Für mich war es auch oft schwer, zu zeigen, wie sehr ich mich über aufrichtige Anteilnahme gefreut habe. Das darf man nicht persönlich nehmen, ich konnte einfach manchmal keine Antwort geben. Ansonsten sagt eine lange intensive Umarmung auch oft mehr als tausend Worte.

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Tagebucheintrag

Im Rahmen ihrer Therapie hat Laura damals Tagebuch geschrieben. In einem fiktiven Gespräch schilderte sie darin, welche psychischen Auswirkungen die Depression bei ihr hatte:

[…] Dann beginnt sie zu reden: „Es gibt gute und schlechte Tage. Erstmals seit langem überwiegen bei mir wieder die guten. Erst wenn du Monate mit einem dicken schwarzen Schleier über dir gelebt hast, verstehst du das Sprichwort ‚Man weiß erst etwas richtig zu schätzen, wenn es nicht mehr da ist‘ wirklich. Das Schlimme ist, dieser Schleier, der alles erstickt, kommt nicht plötzlich, sondern wird allmählich Teil deines Lebens. Diese Finsternis wird zur Normalität. Einer grausamen Normalität, mit der du nicht mehr leben kannst. Du fragst dich, wann du wieder Licht sehen wirst. Aber schon der Gedanke an etwas Gutes wird sofort wieder unter dieser Trostlosigkeit erstickt. Niemand außer denjenigen, denen es auch so geht, versteht wirklich, was mit dir los ist. Egal was alle sagen, dieses Gefühl des Erstickens ist nur zu begreifen, wenn es da ist. Und dann ist es zu spät, alleine etwas dagegen zu tun. Willkommen in deiner neuen Realität. So jedenfalls fühlte es sich für mich an. Das eigentlich Schlimme ist nicht, dass du dich über nichts mehr freuen kannst, sondern dass du auch nicht mehr wütend oder traurig sein kannst. Es ist, als wenn jemand mit einem kräftigen Windhauch alles, was in dir drin ist, einfach wegpustet. Zurück bleibt eine leere Hülle, die jederzeit in sich zusammenfallen kann. Es ist, wie einen großen Parasiten zu haben, der dir allmählich das Leben aussaugt. Du versuchst dich an schöne Dinge zu erinnern, dich hineinzufühlen, wie es war, sich länger als ein paar Minuten über etwas zu freuen. Irgendwann gibst du es auf. Ich wusste nicht mehr, wie es sich anfühlt, ein normales Leben zu führen. Normalität, was ist das? Man versucht sich krampfhaft an irgendetwas zu klammern, das einem Halt gibt. Dinge, über die du dich vielleicht nicht freust, die aber die Trostlosigkeit etwas vermindern können. Die den Moment sozusagen neutral machen. Versteh mich nicht falsch, ich konnte auch über Sachen wirklich lachen und manchmal war auch alles gut. Aber leider immer nur kurz, ein flüchtiger Hauch Freude, der viel zu schnell wieder entgleitet. Mit der Zeit wird dir klar, dass du schon sehr verzweifelt sein musst, wenn das Einzige, worauf du dich freuen kannst, die Aussicht darauf ist, dass du bald wieder ins Bett gehen kannst. Da wusste ich dann, dass ich wirklich Hilfe brauche.“ […]

Susanne Lauck
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