„Stereotype erleichtern die Kommunikation, sie erleichtern den Umgang mit anderen Menschen“

Professor Germelmann im Gespräch

Professor Claas Christian Germelmann ist den meisten Wirtschaftswissenschaftlern der Uni als Lehrstuhlinhaber für Marketing & Konsumentenverhalten ein Begriff. Ich habe mich mit ihm darüber unterhalten, wieso Stereotype manchmal gar nicht so schlimm sind und wer die Verantwortung für Rollenbilder in der Gesellschaft tragen sollte.

Zielgruppen spielen eine große Rolle im Marketing. Wenn ein Unternehmen versucht, eine Gruppe von Menschen anhand weniger Merkmale zu beschreiben, geht das doch eigentlich nicht ohne Stereotype, oder?

Im Marketing fasst man Menschen in eine Zielgruppe zusammen, die ähnlich auf Marketingstimuli reagieren. Also zum Beispiel auf Preisnachlässe, Werbeanzeigen oder Youtube-Videos. So werden Marketingmaßnahmen effizient gestaltet. Es ist eine rein technische Maßnahme, Menschen dabei zu typologisieren.

Was ist dann unser Problem mit Stereotypen?

Wenn man über Stereotype nachdenkt, hat man oft die Vorstellung, es handle sich dabei um eine unzulässige oder gar negative Vereinfachung der Wahrnehmung einer Gruppe von Menschen. Also eine Einordnung, die negativ geprägt ist und auch negative Folgen hat, weil wir das Individuum nicht mehr im Detail sehen. Stereotype haben aber eigentlich, wenn man sich die Erkenntnisse der Sozialpsychologie ansieht, einen sehr großen Vorteil: Sie erleichtern die Kommunikation, sie erleichtern den Umgang mit anderen Menschen. Nicht immer ist es möglich, dass wir uns einzelne Menschen mit ihren Eigenschaften und ihrer Persönlichkeit ganz genau anschauen.

Aber kann es dabei nicht auch zu Vereinfachungen kommen, die den Menschen nicht gerecht werden? Das sieht man doch zum Beispiel bei Kinderprodukten. Mir scheint es zu einfach, zu sagen: Mädchen spielen nur mit einem Fußball, wenn er pink ist.

Interessanterweise fallen mir hier auch direkt die Kinderprodukte ein. Es gibt auch viel Forschung zu der Frage, ob Rollenbilder im Marketing dazu führen, dass man sich selbst irgendwann auch dem Bild entsprechend sieht. Und bei Kindern kann das auch durchaus der Fall sein, weil die Wahrnehmung von Marken noch viel mehr die Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit prägt.

Die Unternehmen, die für diese Vermarktung kritisiert werden, reagieren meist mit einem Verweis auf die Nachfrage: Wenn die Mädchen das Produkt haben wollen, bieten wir es auch an. Würden Sie sagen, Unternehmen tragen Verantwortung, und sollten die daraus resultierenden gesellschaftlichen Probleme in ihre Überlegung miteinzubeziehen?

Dafür muss erst einmal klar sein, ob es ein resultierendes Problem gibt. Das muss die Gesellschaft mit sich ausmachen. Erst wenn das ausgehandelt ist, kann nach der Verantwortung gefragt werden. Der Ruf nach dem Staat bringt da wenig. Die Verantwortung liegt bei Konsumenten und Unternehmen. Und Unternehmen tragen dann die Verantwortung, wenn sie wissen, dass etwas schädlich ist. Vorher können sie die nicht tragen, das wäre ebenso unverantwortlich, zum Beispiel gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Eine andere Argumentation könnte sein, dass erst durch das „verweiblichte“ Angebot von zum Beispiel Bauklötzen Mädchen überhaupt mit ihnen spielen. Oder dass Job-Angebote im MINT-Bereich mehr auf weibliche Stereotype angepasst werden sollten, um Frauen dafür zu begeistern.

Hier ist vielleicht eine bessere Methode, Stereotype zu durchbrechen. Zum Beispiel ist die Vorstellung der meisten Menschen, dass Automechaniker Männer sind. Wenn in einer Werbung nun eine Automechanikerin gezeigt wird, wird uns das Stereotyp erst einmal bewusst und kann sich dann auch verändern. Man müsste zeigen, dass auch Mädchen mit Bauklötzen spielen können.

Nun kam vor kurzem eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes heraus, in der festgestellt wurde, dass Frauen strukturell mehr für Güter zahlen, vor allem im Bereich der Dienstleistungen. Ist es legitim, Produkte teurer anzubieten, wenn sie weiter gekauft werden?

Problematisch ist es, wenn identische Produkte unterschiedlich teuer sind. In der Studie wurde das manchmal nicht ganz eingehalten, aber es gibt solche Produkte mit Sicherheit. Männerhandtaschen sind zum Beispiel günstiger, weil da geringere Nachfrage herrscht. Gleichzeitig gibt es nicht so teure Damen- wie Herrenuhren. Aber ich sage trotzdem: Die Nachfrage scheint da zu sein und es scheint kein so großes Thema zu sein, sonst würde sich da mehr tun. Man hätte politische Möglichkeiten, sich zu wehren, wenn tatsächlich Diskriminierung vorläge. Und auch der Markt würde sich anders entwickeln: Friseurinnen und Friseure, die einen einheitlichen Preis anbieten, hätten mehr Erfolg und andere würden nachziehen. Solange das nicht der Fall ist, gibt es vielleicht noch irgendeinen anderen Grund, den wir nicht durchschauen.

Eine letzte Frage: Wann hatten Sie zum letzten Mal das Gefühl mit einem Rollenbild charakterisiert zu werden, in das Sie nicht passten?

Da muss ich wirklich lange zurückdenken. Ich schätze, das war zu Schulzeiten, als diejenigen, die sich besonders engagiert haben, schnell als Schleimer galten. Das war aber das letzte Mal, ich lasse mich nicht in Rollen drängen.

 

Spannende Literatur zum Thema:

Fiske und S. Taylor: Social Cognition: From Brains To Culture (2013)
Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Preisdifferenzierung nach Geschlecht in Deutschland (2017)