Provokation für das Gute

Pussy Riot provozieren in der Christ-Erlöser-Kathedrale

Darf man provozieren, um damit das „Gute“ voranzubringen? Lara und Nele sind sich uneinig:

Pro

von Lara Frumm

Grenzen zu definieren ist herausfordernd. Wer ist berechtigt, sie festzulegen und auf ihre Einhaltung zu achten?

Bei Kunst und Satire ist die Schranke der Unzulässigkeit selten erreicht. Naziverherrlichung ist die letzte Bastion, die nicht überschritten werden darf und selbst dort ist nichts in Stein gemeißelt. Warum sollte das bei Provokation anders sein? Kann Provokation zu weit gehen?

Provokation ist Ausdruck, sprachliches Gestaltungsmittel und Kommunikationsinstrument. Sie ist nur erfolgreich, wenn das Gegenüber sich auch provoziert fühlt. Wir bestimmen individuell, wann unsere Grenze überschritten wird und wie wir damit umgehen wollen.

Problematisch ist nicht der Einsatz von Provokation, sondern die eigene Reaktion. Die Angst vor Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander ist legitim. Doch wird sie nicht durch den Einsatz von Provokation begründet, sondern dadurch genährt, dass wir augenscheinlich nur noch auf Extreme reagieren. Die Organisationen, die zu unkonventionellen Methoden greifen, werden auch dadurch motiviert, dass sie dies für erforderlich halten. Denn wir machen durch unsere Gleichgültigkeit gegenüber vielen Themen, ausufernde Maßnahmen erforderlich. Wir sollten uns selbst sensibilisieren, wieder empfänglicher für die Zwischentöne zu werden. Wir müssen das Gespräch suchen und dürfen andere nicht außen vor lassen.

Das heißt nicht, dass Grenzziehung generell nicht möglich ist und jeder tun und lassen kann, was er oder sie will. In Bezug auf Aktionen, die darauf gerichtet sind, Aufmerksamkeit zu erzielen, bestimmen wir sie aber durch unsere Haltung sowohl im negativen, als auch im positiven Sinn mit.

Contra

von Nele Spandick

PETA provoziert mit Holocaust-Vergleichen, um Aufmerksamkeit für Tierleid zu schaffen und Pussy Riot stürmt die Christ-Erlöser-Kathedrale, um die Russisch-Orthodoxe Kirche und ihre Verbindungen zur Politik zu kritisieren. Was unterscheidet diese Aktionen von einer simulierten IS-Hinrichtung an Menschen mit „Refugees Welcome“-Schildern von österreichischen Identitären?

Ich finde, der Unterschied liegt im Inhalt des Protests. Die Aufmerksamkeit auf Massentierhaltung und zweifelhafte Kirche-Staat-Verbindungen zu lenken, finde ich richtig. Zu implizieren, dass man vom IS geköpft wird, wenn man Geflüchtete Willkommen heißt, finde ich falsch. Aber das sehen manche anders und das ist der ausschlaggebende Punkt. Wenn der Zweck die Mittel heiligte, wäre jegliche Provokation erlaubt, um auf vermeintliches Unrecht aufmerksam zu machen. Doch wer bestimmt, ob etwas wirklich Unrecht ist – ob der Zweck das gewählte Mittel tatsächlich heiligt?

In einer pluralen Gesellschaft müssen wir akzeptieren, dass wir unterschiedlicher Meinung sind. Ich muss tolerieren, wenn Identitäre Stimmung gegen Geflüchtete machen. Sie müssen meinen Protest dagegen aushalten. Anhand des Zwecks können wir die Mittel nicht beurteilen, wenn wir uns über eben diesen nicht einig sind. Also müssen die Mittel selbst einem Urteil standhalten. Für mich sind Holocaust-Vergleiche, die beabsichtige Verletzung religiöser Traditionen und die Nachstellung von Exekutionen keine geeigneten Mittel, um auf etwas aufmerksam zu machen – unabhängig davon, was dieses etwas ist.